Blutspur in Magdeburg: Der Weihnachtsmarkt-Anschlag, rechte Netzwerke und ein Versagen mit Ansage
Beitrag vom 23.12.2024
Die tödliche Attacke am 20. Dezember 2024 hat die Stadt Magdeburg und das ganze Land in Trauer gestürzt. Mit einem gemieteten SUV raste Taleb Al-Abdulmohsen gezielt in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt. Fünf Menschen verloren ihr Leben, darunter der neunjährige Andre Gleisner. Über 200 weitere wurden verletzt. Die Tat war kein spontaner Wahnsinn, sondern ein Akt, der lange vorbereitet wurde – politisch, ideologisch und gesellschaftlich ignoriert.
Ein Täter und sein Weg in die Radikalisierung
Taleb Al-Abdulmohsen kam 2006 aus Saudi-Arabien nach Deutschland, suchte Asyl und wurde zehn Jahre später anerkannt. Offiziell, weil er als religionskritischer Arzt in seinem Heimatland verfolgt wurde. Doch in Deutschland entwickelte er sich von einem kritischen Ex-Muslim zu einem glühenden Anhänger rechtspopulistischer Ideologie.
Ehemalige Kollegen und Bekannte beschrieben ihn als zurückgezogen, zunehmend misstrauisch und in seinen Überzeugungen extrem. Sein Hass auf den Islam wuchs – nicht aus Sorge um gesellschaftlichen Fortschritt, sondern aus purer Feindseligkeit. Er begann, Verschwörungstheorien zu verbreiten, die ihn schließlich in die Arme der AfD und ihrer Netzwerke führten.
Die Rolle der AfD: Ideologisches Futter für eine zerstörte Psyche
In den letzten Jahren trat Al-Abdulmohsen immer häufiger als Sympathisant der AfD auf. Er teilte deren Inhalte auf Plattformen wie X (ehemals Twitter) und verbreitete deren Narrative von einer „Islamisierung Europas“ und einer angeblichen „Unterwanderung durch Flüchtlinge“. Er lobte AfD-Größen wie Alice Weidel und folgte prominenten Figuren der Partei sowie deren Jugendorganisation Junge Alternative.
Die AfD diente ihm nicht nur als ideologisches Sprachrohr, sondern als Bestätigung seiner radikalen Ansichten. Ihre Hetze gegen Migranten und Muslime ist bekannt, doch sie wird oft als „Meinungsfreiheit“ verteidigt. Genau in diesem toxischen Klima radikalisierte sich Al-Abdulmohsen weiter.
Seine Postings lassen keinen Zweifel: Er sah sich als Teil eines „Widerstands“. Er war überzeugt, dass er gegen eine „geheime Operation“ des deutschen Staates kämpfen müsse, die angeblich Ex-Muslime und andere „Regimekritiker“ unterdrücke. Solche Verschwörungsnarrative, befeuert durch die AfD, gaben ihm die Rechtfertigung, seine Ideologie in Gewalt umzusetzen.
Rechte Netzwerke und ihre Verantwortung
Nach der Tat distanzierte sich die AfD erwartungsgemäß. Parteisprecher erklärten, man habe „keine Verbindung“ zu Al-Abdulmohsen, und bezeichneten ihn als „geistesgestört“. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache. Al-Abdulmohsen war Teil eines rechten Diskursraums, der gezielt Ängste schürt und Gewalt als legitime Antwort erscheinen lässt.
Die AfD mag nicht direkt zur Tat aufgerufen haben, aber ihre Narrative bereiten den Boden. Wenn Parteimitglieder von „Messermännern“ und einer „Überfremdung Deutschlands“ sprechen, wenn sie Flüchtlinge entmenschlichen und eine „Revanche“ gegen angebliche „Eindringlinge“ fordern, dann ist das der Humus, auf dem solche Taten gedeihen.
Ein staatliches Versagen mit Ansage
Bereits 2007 hatten saudische Behörden vor Al-Abdulmohsen gewarnt. Sie stuften ihn als potenziell gefährlich ein und baten Deutschland, seinen Asylantrag kritisch zu prüfen. Doch diese Warnung versandete. Er wurde anerkannt und konnte in Deutschland ein Leben aufbauen – eines, das zunehmend von Misstrauen und Hass geprägt war.
Auch seine zunehmende Radikalisierung in den sozialen Medien blieb unbeachtet. Plattformen wie X und Facebook waren voll von seinen Hasspostings, doch niemand schritt ein. Weder Sicherheitsbehörden noch Arbeitgeber nahmen seine extremen Ansichten ernst. Ein Mann, der sich öffentlich zu Verschwörungstheorien und Gewalt bekannte, konnte jahrelang ungestört agieren.
Die Opfer und die zynischen Reaktionen
Die Tragödie hat fünf Menschen das Leben gekostet. Darunter der neunjährige Andre Gleisner, dessen Mutter in einem bewegenden Statement von ihrem „kleinen Teddybär“ sprach. Die Stadt Magdeburg trauert, doch gleichzeitig werden die Stimmen laut, die diese Tat politisch instrumentalisieren wollen.
Die AfD versucht sich der Verantwortung zu entziehen und nutzt die Tat, um erneut gegen Flüchtlinge und Migranten zu hetzen – ironischerweise genau die Gruppe, aus der der Täter selbst stammt. Andere Parteien fordern eine Überprüfung der Sicherheitsmaßnahmen und Asylpolitik, ohne die Frage zu stellen, wie rechter Hass überhaupt so weit kommen konnte.
Leere Worte und die Realität
Wie oft haben wir solche Floskeln gehört? „Wir müssen die Sicherheitslücken schließen.“ „Wir dürfen den Weihnachtsmarkt nicht zu einem Ort der Angst machen.“ Solche Worte ändern nichts. Sie verhindern nicht die nächste Tragödie, solange wir die Wurzeln dieser Gewalt nicht anpacken.
Diese Tat ist kein isolierter Fall. Sie ist das Ergebnis eines Klimas, in dem Hass normalisiert wird, in dem rechte Netzwerke freie Hand haben und in dem staatliche Behörden bei klaren Warnungen versagen. Magdeburg ist nicht das Ende. Es ist eine Warnung. Doch ob wir endlich hinhören, bleibt fraglich.