Die Fassade bröckelt
Ein 3540-Media-Report über das Gutachten des Verfassungsschutzes, die Reaktionen der AfD – und was das für die Demokratie bedeutet.
Am Montag wurde es offiziell: Der Verfassungsschutz stuft die gesamte AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ ein. Damit markiert die Behörde eine historische Zäsur – und dokumentiert, was Antifaschistinnen, Wissenschaftlerinnen und zivilgesellschaftliche Initiativen seit Jahren sagen: Die AfD ist keine konservative Protestpartei, sie ist ein zentraler Akteur der extremen Rechten. Ein demokratiefeindliches Projekt mit autoritären Ambitionen.
Was diese Hochstufung konkret bedeutet – juristisch, politisch, gesellschaftlich – ist noch offen. Klar ist aber schon jetzt: In der AfD herrscht Unruhe. Hinter der demonstrativen Gelassenheit bröckelt die Fassade. Funktionäre sind ratlos, die Strategie ist diffus, das Spitzenpersonal schweigt oder schwurbelt. Und währenddessen wächst der Druck auf CDU und Staat: Wie umgehen mit einer Partei, die verfassungsfeindlich ist – aber in Landesparlamenten und im Bundestag sitzt?
Die Strategie der AfD: Abtauchen, ablenken, aufwiegeln
1108 Seiten umfasst das Gutachten des Verfassungsschutzes, das die AfD zur gesichert rechtsextremen Organisation erklärt. Es ist ein juristisches Fundament – und zugleich ein politisches Signal: Die Partei steht nicht mehr nur unter Verdacht. Sie ist eine Gefahr. Für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Für Millionen von Menschen. Für ein solidarisches Zusammenleben.
Doch die Reaktion der AfD? Schweigen – zumindest nach innen. In der Bundestagsfraktion wird die Hochstufung mit keinem Wort erwähnt. Kein Debattenpunkt. Kein Beschluss. Kein Plan.
Nach außen hingegen: Gezielt platzierter Trotz. Man sei Opfer einer „politischen Kampagne“, der Verfassungsschutz sei „irre geworden“, eine „Behörde der Altparteien“. Die klassische Täter-Opfer-Umkehr, wie sie seit Jahren zur AfD-Strategie gehört – ergänzt durch martialisches Vokabular („letzte Patrone“, „totalitärer Ungeist“). Doch die üblichen Sprechblasen wirken nun hohl. Denn diesmal geht es nicht um die nächste Talkshow. Sondern ums politische Überleben.
Die Angst frisst mit: Was hinter der Fassade passiert
Der SPIEGEL berichtet von internen Gesprächen mit AfD-Funktionären. Sie alle wollen anonym bleiben – zu groß die Angst vor parteiinternem Repressalien. Ihre Aussagen offenbaren: Die Partei ist verunsichert. Das Etikett des Rechtsextremismus sei ein „Killer“, sagen einige. Es schrecke Mitglieder, Spender und Beamte ab. Vor allem letztere galten lange als Hoffnungsträger: Mit Verwaltungsjuristinnen, Polizistinnen, Lehrer*innen wollte sich die AfD professionalisieren, staatlich verankern, seriös wirken. Nun könnten genau diese Gruppen das Weite suchen – aus Angst vor disziplinarrechtlichen Konsequenzen.
Selbst ein Austritt eines Bundestagsabgeordneten – laut Protokoll ohne Begründung – sorgte parteiintern für Unruhe. Ein Zeichen, wie brüchig die Einigkeit wirklich ist.
Währenddessen: Kein Kommunikationsleitfaden, kein Rundbrief, keine Handlungsanweisung. Stattdessen: Abwarten, was die Parteichefs posten. In der eigenen Bubble mag das als Strategie durchgehen – doch in Zeiten existenzieller Bedrohung wirkt es wie ein Offenbarungseid.
Die Union unter Druck: Spahns Wende, Merz’ Zaudern
Gleichzeitig geraten CDU und CSU unter Zugzwang. Monatelang tasteten sich Unionspolitiker an die AfD heran, loteten Schnittmengen aus, halfen still an der Demontage der Brandmauer mit. Jens Spahn plädierte noch im April für eine Gleichbehandlung der AfD als Oppositionspartei. Nach dem Gutachten schwenkt er nun um: Keine Ausschussvorsitze mehr für die AfD, gemeinsame Strategien mit der SPD gegen rechts. Der Druck ist da – auch, weil der Eindruck entstanden war, die Union spiele mit dem Feuer.
In Bremen stimmten 16 von 24 CDU-Abgeordneten einem Antrag für ein AfD-Verbotsverfahren zu. Daniel Günther (CDU) forderte öffentlich ein Verbot. Und Friedrich Merz? Der reagierte – mit Abwarten. Erst müsse man „sorgfältig prüfen“. Eine diplomatische Absage klingt anders.
Verbotsverfahren: Symbol oder Notwendigkeit?
Der Ruf nach einem Parteiverbot ist nicht neu – aber er wird lauter. Die SPD-Jugendorganisation Jusos fordert von ihrer Partei einen Verbotsantrag. Ein zivilgesellschaftliches Bündnis um die Gesellschaft für Freiheitsrechte arbeitet an einem juristischen Gutachten, das klären soll, ob die AfD verfassungswidrig ist. Die Debatte hat einen Punkt erreicht, an dem sie sich nicht mehr aus Talkshows und Kommentaren heraushalten lässt. Es geht um mehr als Parteitaktik. Es geht ums Grundgesetz.
Ein Verbot ist keine simple Antwort. Es ist ein scharfes Schwert. Und doch zeigt die Geschichte: In einem wehrhaften Rechtsstaat muss es eingesetzt werden, wenn eine Partei systematisch gegen die Demokratie arbeitet. Die AfD will keine andere Politik. Sie will ein anderes System.
Was jetzt zählt: Druck von unten
Der Staat muss handeln. Aber das allein reicht nicht. Die AfD konnte erst so stark werden, weil sie jahrzehntelang unterschätzt, verharmlost, ignoriert wurde – auch von Teilen der Öffentlichkeit. Sie speist sich nicht nur aus politischem Opportunismus, sondern aus rassistischen, antisemitischen, sexistischen und transfeindlichen Ressentiments, die in der Mitte der Gesellschaft verankert sind.
Deshalb braucht es antifaschistischen Druck von unten. In den Schulen, an den Werkbänken, auf den Straßen, in den Parlamenten. In den Köpfen und Herzen. Denn eines ist klar: Eine Partei wie die AfD besiegt man nicht mit Pressemitteilungen. Sondern mit Haltung, Aufklärung – und Widerstand.
Rund um
Die Hochstufung der AfD ist mehr als ein politischer Vorgang. Sie ist eine Chance. Eine Möglichkeit, antifaschistische Positionen zu stärken. Die Demokratie verteidigt sich nicht von allein – aber sie hat Werkzeuge. Sie hat Menschen. Und sie hat eine Verantwortung gegenüber allen, die von rechter Gewalt, Ausgrenzung und Hass betroffen sind.
Jetzt ist nicht die Zeit für Relativierungen. Jetzt ist die Zeit, klar zu sagen: Die AfD ist ein Problem.