Vor ein paar Tagen las ich zum ersten Mal von Leon B. – einem Neonazi aus Schwerin, der in der Ukraine gekämpft haben soll. Gegen Russland. Für die Ukraine. Und ich frage mich: Was zur Hölle macht ein Faschist hier?
Leon B. war Aktivist beim „Dritten Weg“. Jetzt also „Freiwilliger“ im „Deutschen Freiwilligenkorps“, das sich selbst als Einheit deutscher Kämpfer auf ukrainischer Seite versteht. Fotos zeigen ihn in Uniform, mit Helm, Sturmgewehr, irgendwo an der Front. Und ja, das DFK wurde mittlerweile Teil der regulären ukrainischen Armee – das macht die Sache nicht einfacher.
Als ich die ersten Berichte dazu las – unter anderem die Recherche vom NDR – dachte ich: Das kann nicht sein. Nicht hier. Nicht in diesem Land, das jeden Tag um seine demokratische Existenz kämpft. In diesem Land, das gerade Ziel eines mörderischen imperialistischen Angriffskriegs ist. Aber es ist wahr. Die Spur von Leon zieht sich durch Telegram-Gruppen, durch rechte Netzwerke, durch die Schattenseiten dieses Kriegs.
Ich habe in den letzten Wochen viele Menschen getroffen: Studierende, Rentnerinnen. Ich habe queere Genossinnen getroffen, Menschen, die Angehörige verloren haben. Eines war immer klar: Der Kampf gegen Russland ist in erster Linie ein Kampf ums Überleben. Um die eigenen Städte, die eigene Sprache, das eigene Leben.
Dass sich nun auch Neonazis aus Deutschland einmischen – als bewaffnete Kämpfer, mit Spendensammlungen, mit eigenem Branding – ist kein Nebengeräusch. Es ist eine Gefahr. Für die Ukraine. Für die internationale Linke. Und auch für uns. Denn was passiert, wenn diese Männer zurückkehren? Mit Kriegserfahrung, Waffenwissen, Netzwerken? Der Bundesnachrichtendienst spricht von einem „erhöhten Gefahrenpotenzial“. Ich nenne es: tickende Zeitbomben.
Die ideologische Begründung dieser Typen ist genauso absurd wie perfide. Sie sprechen von der „roten Pest“, von einem „neobolschewistischen Russland“, gegen das sie kämpfen. Putin, sagen sie, sei ein Erbe der Sowjetunion – ein Kommunist, ein Feind des wahren Abendlands. Dass Putin in Wahrheit ein autoritärer Reaktionär ist, der alles Linke auslöscht, der sich christlich-fundamentalistischer Rhetorik bedient, Antifeminismus und Antisemitismus verbreitet – das interessiert diese Leute nicht. Sie brauchen keine Logik. Sie brauchen Feindbilder.
Und sie nutzen die Ukraine als Projektionsfläche. Als Spielfeld für ihre eigenen Fantasien von Männlichkeit, Nationalismus und Krieg. Es geht ihnen nicht um die Verteidigung von Freiheit. Es geht ihnen um sich selbst. Um Waffen, Uniformen, Gewalt. Vielleicht auch um die Hoffnung, nach ihrer Rückkehr als Helden dazustehen – in ihren Netzwerken, bei Gleichgesinnten, vielleicht sogar in der Politik.
Ich frage mich, wie das hier passieren kann. Warum niemand in der Ukraine stoppt, wer mit dem Hakenkreuz-Tattoo anrückt. Warum diese Leute oft unbehelligt kämpfen können – mitten unter Soldat*innen, die vielleicht selbst Angehörige haben, die im Zweiten Weltkrieg gegen Nazis gekämpft haben. Ist es Unwissen? Gleichgültigkeit? Oder einfach pragmatischer Zynismus: Wer kämpft, der kämpft?
Ich sehe auf die Straße. Zwei Soldat*innen laufen vorbei, jung, erschöpft, Arm in Arm. Keine Faschos. Keine Ideologen. Menschen, die überlebt haben. Eigentlich will ich ihnen gerne zurufen: Passt auf euch auf. Nicht nur vor russischen Raketen – sondern auch vor denen, die vorgeben, eure Freunde zu sein.