Es ist der 09.12.2025 und seit Tagen wird in Georgien für einen proeuropäischen Kurs des Landes demonstriert. Die Teilnehmerinnen lassen sich auch von zunehmender Gewalt gegen sie nicht abschrecken. Auch Journalistinnen geraten ins Visier.
Tausende Demonstrant*innen gehen auf die Straße, um gegen die Regierung und für eine Annäherung an die Europäische Union zu protestieren. Am Sonntagabend, dem elften Tag in Folge, versammelten sie sich vor dem Parlament in der Hauptstadt Tiflis. Viele von ihnen schwenkten EU-Fahnen.
Die Polizei geht mit zunehmender Härte gegen die Proteste vor, setzt Wasserwerfer und Tränengas ein. Zahlreiche Demonstrierende, die Feuerwerkskörper auf Sicherheitskräfte warfen oder Barrikaden errichteten, sollen verprügelt worden sein. Der georgischen Regierung wird vorgeworfen, gezielt Schlägertrupps einzusetzen, um die Proteste zu unterdrücken – ein Vorwurf, den die Moskau-freundliche Regierungspartei „Georgischer Traum“ zurückweist.
Wie an den Abenden zuvor schlugen Demonstrierende auf die Metallbarrieren ein, die das Parlament abriegeln. Die Stadtverwaltung begann unterdessen mit dem Aufbau eines großen Weihnachtsbaums vor dem Gebäude. Als Reaktion befestigten die Demonstrant*innen dort Fotos von Protestierenden, die von der Polizei geschlagen worden waren. Die Gesichter auf den Bildern waren mit blauen Flecken übersät – ein stiller Protest gegen die staatliche Gewalt.
Demonstrierende wollen nicht nachlassen
“Das ist jetzt nicht die Zeit zum Feiern! […] Sie können uns keine Angst machen, wir werden nicht aufhören.”
So der 27-jährige Nino zu der Nachrichtenagentur AFP.
Das zunehmend brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte hält die Protestierenden nicht auf. Laut Innenministerium wurden bereits 402 Menschen festgenommen, die meisten wegen „Ungehorsam“ oder „Vandalismus“. Zudem sitzen über 30 Personen wegen angeblicher organisierter Gewalt in Haft.
Regierungschef Irakli Kobachidse, gegen den sich die Proteste hauptsächlich richten, kündigte unterdessen ein Gesetz an, das das Verhüllen des Gesichts bei Demonstrationen verbieten soll – ein klarer Angriff auf die Protestbewegung, die sich mit Masken gegen Tränengas schützt.
Angriffe auf Journalist*innen
Auch unabhängige Medien geraten immer stärker ins Visier. Nach Informationen der Nachrichtenagentur AP wurden georgische Journalist*innen während der Proteste brutal angegriffen. Die Reporterin Maka Tschichladse berichtete, dass sie und ein Kollege vom unabhängigen Fernsehsender Pirweli TV am Samstagabend von einem gewalttätigen Mob attackiert wurden. Ihr Kollege erlitt eine Kopfverletzung, seine Kamera wurde gestohlen.
Als Reaktion darauf marschierten am Sonntag Hunderte Journalistinnen durch Tiflis und hängten Plakate mit den Gesichtern von Kolleginnen auf, die während ihrer Arbeit angegriffen worden waren. "Unsere Kollegen wurden geschlagen und verletzt, einige befinden sich in ernstem Zustand im Krankenhaus", sagte die Moderatorin von TV Pirweli, Ekaterine Mischweladse.
Ein Wahlergebnis voller Zweifel
Seit der Parlamentswahl am 26. Oktober 2024 ist die Lage in Georgien angespannt. Offiziell gewann der „Georgische Traum“ mit deutlicher Mehrheit – doch die Opposition spricht von massiven Manipulationen. Internationale Wahlbeobachter, darunter die OSZE, dokumentierten Unregelmäßigkeiten. Die Oppositionsparteien boykottieren das Parlament. 49 Abgeordnete legten ihre Mandate nieder, um der Regierung ihre Legitimität abzusprechen.
Doch das Regime nutzt diesen Boykott für seine Zwecke: Ohne parlamentarische Kontrolle verabschiedet es Gesetz um Gesetz, um seine Macht zu zementieren. Besonders umstritten ist das sogenannte „Agentengesetz“, das NGOs und unabhängige Medien, die aus dem Ausland finanziert werden, als „ausländische Agenten“ brandmarkt – ein Werkzeug, das Moskau seit Jahren zur Zerschlagung der Zivilgesellschaft einsetzt.
In Georgien eskaliert der Kampf um die Zukunft des Landes. Die pro-russische Regierungspartei „Georgischer Traum“ setzt auf Repression, Wahlmanipulation und den Umbau des Staates in ein autoritäres Regime. Die pro-europäische Opposition wird kriminalisiert, Proteste mit Gewalt niedergeschlagen, kritische Medien und NGOs unter Druck gesetzt. Doch die Bevölkerung gibt nicht auf: Tausende gehen trotz Polizeigewalt, Festnahmen und drakonischer Gesetze auf die Straße – für Demokratie, für Europa, für eine Zukunft ohne russischen Einfluss.
Polizei geht brutal gegen Demonstrierende vor
In den letzten Tagen kam es in der Hauptstadt Tiflis erneut zu massiven Protesten. Die Polizei nahm dabei mehrere Menschen fest, darunter auch die Oppositionsführer Nika Melia und Gigi Ugulawa. Bei ihrer Verhaftung wurden sie von Sicherheitskräften misshandelt, wie unabhängige Medien berichteten.
Die Protestierenden hatten versucht, eine Autobahnzufahrt im Norden der Stadt zu blockieren – als Zeichen des Widerstands gegen eine Regierung, die das Land immer tiefer in Richtung Moskau zieht. Die georgischen Behörden reagierten mit einer Mischung aus Einschüchterung und juristischer Repression: Laut Innenministerium drohen auf die Blockade bis zu vier Jahre Haft.
Melia wurde später unter der Bedingung freigelassen, sich einem Gerichtsverfahren zu stellen. Er berichtete, er sei auf der Polizeiwache getreten worden. Menschenrechtsorganisationen weisen darauf hin, dass Melia und Ugulawa bereits in der Vergangenheit unter dubiosen Vorwänden inhaftiert waren – politische Gefangene in einem Land, das sich offiziell noch auf EU-Kurs befindet.
EU verurteilt Polizeigewalt, doch Georgien rückt weiter von Europa ab
Die Reaktion aus Brüssel ist eindeutig. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas bezeichnete das brutale Vorgehen gegen Demonstrierende als „inakzeptabel“ und erinnerte daran, dass Georgien sich als EU-Beitrittskandidat bestimmten demokratischen Standards verpflichten müsse. Doch genau diesen Weg blockiert die Regierung: Premierminister Irakli Kobachidse verkündete im November 2024, die EU-Integration Georgiens bis 2028 auf Eis zu legen. Eine Entscheidung, die 80 Prozent der georgischen Bevölkerung ablehnen.
Seitdem eskaliert die Lage. Die Regierung greift härter durch, setzt Wasserwerfer und Tränengas gegen Demonstrierende ein. Mehr als 400 Menschen wurden bereits festgenommen. Die EU reagierte mit ersten Maßnahmen: Georgische Diplomaten unterliegen nun einer Visumpflicht – ein symbolischer Schritt, doch die entscheidende Frage bleibt, ob Brüssel auch wirtschaftliche oder finanzielle Konsequenzen ziehen wird.
Das Parlament als Werkzeug der Repression
Durch den Boykott der Opposition hat der „Georgische Traum“ die völlige Kontrolle über das Parlament. Die Regierung nutzt das, um das Land autoritär umzugestalten:
Das „Agentengesetz“ wurde verschärft, sodass nun nicht nur NGOs, sondern auch Einzelpersonen betroffen sein können.
NGOs und Bürgerorganisationen müssen nicht mehr in Regierungsentscheidungen einbezogen werden.
Der Begriff „Gender“ wurde aus dem Gleichstellungsgesetz gestrichen – eine klare Botschaft an konservative Kräfte.
Neue Gesetze beschränken die Pressefreiheit weiter. Medien, die ausländische Gelder erhalten, drohen Strafen und Schließungen.
Proteste werden kriminalisiert: Das Tragen von Masken, Feuerwerkskörper oder Laserpointer bei Demonstrationen ist verboten. Die Strafen für „geringfügiges Rowdytum“ wurden massiv erhöht.
Die Wiedereinführung des Straftatbestands „Hochverrat“ könnte künftig dazu genutzt werden, politische Gegner zu verfolgen.
Ein autoritärer Staat nach russischem Vorbild
All das folgt einem Muster: Georgien soll ein Land werden, in dem Opposition nur noch auf dem Papier existiert, in dem kritische Stimmen zum Schweigen gebracht werden und in dem der Einfluss russischer Politik stetig wächst. Die Wahl des neuen Präsidenten Micheil Kawelaschwili – eines ehemaligen Fußballspielers ohne politische Erfahrung – ist ein Symbol dafür. Er wurde nicht vom Volk gewählt, sondern durch eine Wahlversammlung, nachdem das Parlament die Verfassung änderte.
Für viele Georgier*innen ist klar: Die Regierung ist nicht demokratisch legitimiert. Deshalb reißen die Proteste nicht ab.
Ein Kampf, der weit über Georgien hinausgeht
Die georgische Bevölkerung kämpft nicht nur um ihr eigenes Land – sondern auch gegen die russische Einflusssphäre. Die Parallelen zur Ukraine sind unübersehbar: Ein autoritärer Staat soll geformt werden, in dem die demokratische Opposition systematisch ausgehöhlt wird. Wer sich wehrt, wird kriminalisiert.
Die Frage ist: Wie wird Europa darauf reagieren? Die EU ist zögerlich, obwohl sie sich mit klaren Worten hinter die Protestierenden stellt. Doch Worte allein werden nicht reichen. Sanktionen gegen georgische Regierungsmitglieder, finanzielle Konsequenzen oder sogar die Aussetzung des Beitrittsstatus stehen im Raum.
Eines aber steht fest: Die Menschen in Georgien geben nicht auf. Sie kämpfen weiter – für Demokratie, für Menschenrechte und für ihre Zukunft. Und sie verdienen internationale Solidarität. Es sollte uns ein Vorbild sein.