Noch vor wenigen Tagen war ich selbst dort. Ich stand in Kyjiw, atmete die warme Sommerluft der ukrainischen Hauptstadt ein, hörte das Leben zwischen Sirenengeheul und Hoffnung. Zwei Mal bin ich knapp davongekommen. Und jetzt das: Mindestens 16 Tote. 135 Verletzte. Schulen, Krankenhäuser, Wohnhäuser zerstört. Wieder.
Ich kann es nicht fassen. Wirklich nicht.
Am Morgen des 31. Juli schlugen erneut russische Raketen in Kyjiw ein. Der Angriff war massiver als die meisten zuvor: 300 Drohnen, acht Raketen. Die Stadtregierung spricht von einem der schwersten Angriffe der letzten Monate. Präsident Selenskyj erklärte, der Angriff sei ein gezielter Versuch gewesen, die Infrastruktur der Hauptstadt weiter zu destabilisieren – und gleichzeitig ein Akt der Einschüchterung gegen die Bevölkerung.
Zerstört wurden nicht nur Gebäude, sondern auch Erinnerungen, Lebensgeschichten, Möglichkeiten. Eine Schule, die in wenigen Wochen wieder Unterricht aufnehmen wollte. Ein Krankenhaus, das gerade dabei war, eine neue Station für Verletzte aus der Frontlinie zu eröffnen. Wohnhäuser, in denen Familien ihre Kinder vor der Welt beschützen wollten – und es nicht konnten.
Die russische Seite vermeldete unterdessen die Einnahme der ostukrainischen Stadt Tschassiw Jar – ein Ort, der seit über einem Jahr umkämpft ist. Die ukrainische Armee widerspricht: Noch sei nichts gefallen. Noch werde verteidigt. Noch wird gehalten, was zu halten ist. Tschassiw Jar – strategisch wichtig für die Verteidigung des Donbas – ist nicht nur ein Punkt auf der Karte. Es ist ein Symbol des Widerstands. Und wie Kyjiw ein Ort, an dem Menschen nicht aufgeben, obwohl alles dagegenspricht.
Ich lese diese Nachrichten in einem Café in Karl-Marx-Stadt. Eben noch war ich selbst in diesen Straßen unterwegs, habe mit Zivilisten gesprochen, Fotos gemacht, Geschichten gesammelt. Eben noch saß ich im Bus und sagte mir: "Du hast es überlebt." Jetzt frage ich mich: Wie lange noch?
Russland führt diesen Krieg nicht nur mit Bomben. Es ist ein Krieg gegen das Leben selbst. Gegen Schulen, Krankenhäuser, Wohnungen. Gegen jeden Versuch, inmitten des Grauens Normalität zu bewahren. Dieser Angriff auf Kyjiw ist nicht einfach ein weiterer Luftschlag – er ist eine Kriegserklärung an die Menschlichkeit.
Ich habe keine neutralen Worte mehr dafür. Ich will sie auch nicht.
Ich will, dass wir das, was dort geschieht, begreifen: Dass es nicht aufhört. Dass es keine Pause gibt. Dass dieser Krieg nicht irgendwo weit weg tobt, sondern Europa betrifft, unsere Werte, unsere Vorstellung von Frieden und Gerechtigkeit.
Ich kann es nicht fassen – und genau deshalb schreibe ich diesen Text. Weil wir nicht wegsehen dürfen. Weil jede Rakete auch unsere Verantwortung trifft.