TW: rechte Gewalt | rechte Diskurse | Pogrome
Es ist wenige Tage her, dass ich für ein Interview mit dem jungen Antifaschisten Lasko Schleunung nach Berlin fuhr. Wie so oft: Umstieg, Warten, rauchend am Bahnsteig. Die Szene ist bekannt. Während ich eine Zigarette drehe, spricht mich ein älterer Mann an, fragt höflich, ob er eine haben kann. Ich gebe ihm eine, wir kommen ins Gespräch. Ich nenne ihn hier Uwe.
Uwe ist deutlich betrunken. Ich rede gern mit Leuten wie ihm – nicht aus Mitleid, sondern weil sie oft ungefiltert sprechen. Keine Maske, keine PR-Floskeln. In den ersten Minuten denke ich: sozialistische Ader, sogar Kritik am System, ein wenig Ost-Nostalgie. Alles noch im Rahmen. Bis er von Hoyerswerda 1991 spricht. Ungefragt.
Er lacht, erzählt, wie „geil“ das damals ausgesehen habe, „wie die da runtergesprungen sind.“ Die Rede ist von den Pogromen an Vertragsarbeiter*innen und Geflüchteten. Vom brennenden Wohnheim. Vom organisierten Mob, von Menschen, die Todesangst hatten. Ich bin wütend, sage ihm, dass Menschen dabei fast gestorben wären. Dass Existenzen zerstört wurden.
Seine Reaktion: die altbekannte Leier. Man dürfe ja „gar nichts mehr sagen.“ Meinungsfreiheit, Zensur, Cancel Culture – das ganze rechte Phrasendreschen-Set. Ich antworte klar: „Wenn wir wirklich keine Meinungsfreiheit hätten, müsste ich deine Scheiße ja auch nicht akzeptieren – dann dürfte ich dir einfach eine reinhauen.“ Er schaut mich an, sagt kleinlaut: „Machste aber nicht.“ – „Natürlich nicht“, antworte ich. „Aber du hast keine Ahnung, wie viel du in diesem Land sagen darfst.“
Ich steige in die Bahn, das Gespräch hallt nach.
Wir leben in einem Land, in dem Neonazis öffentlich sagen dürfen, „Zecken boxen ist super“, ohne dass es juristische Folgen hat. Zu schwammig für den § 130, zu allgemein für Gewaltverherrlichung. In dem Menschen mit rechter Gesinnung ganze Talkshows dominieren dürfen, in dem ihnen öffentlich-rechtliche Mikrofone gereicht werden – im Namen der Debatte.
Wenn wir in Deutschland ein Meinungsfreiheitsproblem haben, dann dieses:
Dass zu viele Menschen ungestraft ihren Hass auskotzen können – und sich gleichzeitig einreden, sie würden mundtot gemacht.
Es ist kein Zufall, dass gerade sie sich auf „die Meinungsfreiheit“ berufen:
Diejenigen, die nie in Lebensgefahr geraten, weil sie sie nutzen. Diejenigen, deren Aussagen nie den Job kosten, nie die Wohnung, nie die körperliche Unversehrtheit.
Während Antifaschistinnen Repression, Gewalt und Drohungen erleben, weil sie Widerspruch leisten. Während People of Color, Jüdinnen, queere Menschen und Migrant*innen erleben, was „Meinungsfreiheit“ im Alltag für sie heißt: ständiges Gerede über sie, über ihre angebliche „Ideologie“, über ihre „Existenz“ – als wären sie keine Menschen, sondern Objekte im Diskurs.
Meinungsfreiheit heißt nicht, dass dir niemand widerspricht. Sie heißt nicht, dass du Applaus bekommst, wenn du Scheiße redest. Sie heißt nur: Du darfst reden.
Und wir dürfen widersprechen. Laut. Hart. Wütend. Und mit Haltung.
Denn das ist unsere verdammte Pflicht.