Macron bricht mit dem Westen
Mitten im Krieg erkennt Frankreich Palästina an – was steckt wirklich hinter dem riskanten Schritt?
Es sind starke Worte, die derzeit zwischen Tel Aviv, Washington und Paris fliegen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigt an, im September bei der UN-Generalversammlung Palästina als Staat anerkennen zu wollen. Die Antwort aus Israel: Das sei eine „Belohnung für Terror“. Aus Washington: „rücksichtslos“ und „Propaganda für die Hamas“. Die diplomatischen Empfindlichkeiten sind empfindlich getroffen.
Dabei ist die Anerkennung Palästinas keine revolutionäre Geste. Sie ist ein Akt, den fast 150 UN-Mitgliedstaaten längst vollzogen haben. Sie ist völkerrechtlich plausibel, politisch überfällig – und symbolisch mächtig. Denn sie durchkreuzt die bisherige westliche Ordnung der Dinge: Wer als „verlässlicher Partner“ gilt, wer verhandlungsfähig ist, wer Staat sein darf – und wer bloß Störfaktor bleiben soll.
Dass der französische Vorstoß nun als „Gefahr für den Frieden“ gebrandmarkt wird, wirft Fragen auf: Wann genau wurde das Prinzip der Zwei-Staaten-Lösung eigentlich zur Farce? Und wie lange will man sich in Berlin, London und Washington noch einreden, dass man ein Ende der Gewalt mit immer mehr Gewalt erreichen könne?
Die israelische Regierung sieht in Macrons Schritt das Risiko eines „iranischen Stellvertreterstaats“. Es ist ein vertrautes Narrativ: das Existenzrecht Israels sei in Gefahr, sobald auch Palästina ein Recht auf Staatlichkeit bekommt. Dass diese Argumentation nicht nur schief, sondern zutiefst kolonial geprägt ist, wird selten offen ausgesprochen. Sie impliziert, dass das Existenzrecht des einen nur durch die Verleugnung des anderen aufrechterhalten werden kann.
Natürlich: Die Hamas ist keine Friedensorganisation. Der 7. Oktober 2023 war ein brutaler Angriff mit über 1200 Toten – er hat tiefe Wunden hinterlassen. Aber die darauf folgende Offensive in Gaza mit über 35.000 Toten – darunter tausende Kinder – hat daraus keinen Weg zum Frieden gemacht, sondern nur neues Unrecht geschaffen. Die politische Rechnung scheint einfach: Die Hamas diskreditiert den gesamten palästinensischen Anspruch – und damit jede Möglichkeit auf staatliche Selbstbestimmung.
Doch genau hier liegt das Problem: Solange Palästina als bloßes „Risiko“ gilt, als hypothetisches Gebilde unter Dauerverdacht, solange werden keine Waffenruhen halten. Kein Frieden entstehen. Keine Sicherheit wachsen – für niemanden.
Macron hingegen macht einen Schritt, der in seiner Sprache vorsichtig bleibt, aber weitreichende Wirkung entfalten könnte. Er spricht von Entmilitarisierung, von humanitärer Hilfe, von einem „möglichen Frieden“. Zwischen den Zeilen klingt etwas an, das in der westlichen Diplomatie selten geworden ist: die Vorstellung, dass auch Palästinenser*innen ein politisches Subjekt sein könnten – nicht nur humanitäre Objekte im Ausnahmezustand.
Natürlich: Das löst nichts sofort. Anerkennung ist kein Ersatz für Verhandlungen, keine Garantie für Gerechtigkeit. Aber sie verschiebt das Gewicht. Und sie stellt eine unbequeme Frage an die westlichen Staaten, die jetzt aufschreien: Wie lange wollt ihr euch eigentlich noch einreden, dass Stillstand die sicherste Lösung ist?
In Tel Aviv protestieren derweil Tausende für ein Ende des Krieges, für die Freilassung der Geiseln, für das Leben. In Gaza leben Millionen unter Belagerung, in Angst, in Trümmern. Und im diplomatischen Theater wird verhandelt – über Geiseln, über Waffenruhen, über staatliche Anerkennung. Wer da wirklich Frieden will, wird sich an mehr als der nächsten Presseerklärung messen lassen müssen.
Vielleicht beginnt Frieden nicht mit einer Einigung, sondern mit einer Anerkennung.
[beb/fei/dpa]