Pullizisten & Revoluzzer
Wenn Kleidung politischer ist als die deutsche Parteilandschaft ist

Innerhalb weniger Wochen sorgten drei progressive Politiker*innen mit Statements auf Stoff für bundesweite Schlagzeilen. Was sie eint: Sie treten für Inhalte ein, die im Bundestag offenbar keinen Platz haben sollen. Was sie trennt: der Umgang der Öffentlichkeit mit ihnen – und die Frage, wie weit eine Partei bereit ist, unbequeme Stimmen zu ertragen.
Jette Nietzard, Co-Vorsitzende der Grünen Jugend, machte am Wochenende mit einem Instagram-Post klar: Der Kuschelkurs mit der Staatsmacht ist nicht ihrer. Auf dem Foto trägt dey ein Shirt mit der Aufschrift „ACAB“ – All Cops Are Bastards – und eine Kappe mit dem bekannten Slogan „Eat the Rich“. Die Empörung innerhalb der Grünen ließ nicht lange auf sich warten: Während Parteiveteranen wie Winfried Kretschmann dey am liebsten ganz aus der Partei werfen würden, spricht Cem Özdemir von einer „Entgleisung“.
Nietzard selbst bleibt ruhig. Keine Entschuldigung, keine Relativierung – stattdessen die klare Ansage, dass sich die Kritik gegen strukturelle Gewalt richtet, nicht gegen Einzelpersonen. Wer in der Aufschrift „ACAB“ ein persönliches Urteil über einzelne Polizist*innen sieht, verkennt den politischen Kern der Aussage: Polizei als Institution, nicht als Summe von Menschen. Noch deutlicher wird Nietzard, wenn es um die Mutterpartei geht: Die Grünen hätten ihre Wahlniederlage nicht ansatzweise aufgearbeitet. Der eigentliche Schaden gehe nicht von linken Jugendlichen aus, sondern von der Führung selbst – und dem autoritären Reflex, innerparteiliche Kritik zu delegitimieren.
Wenige Tage vor Nietzards Statement kam es auch im Bundestag zu einem Eklat. Die Linken-Abgeordnete Cansın Köktürk trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Palestine“ – und wurde von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) aus dem Plenum geworfen. Offizielle Begründung: ein Verstoß gegen die Kleiderordnung. Pikant dabei: Eine solche Ordnung existiert nicht. Schon im März hatte Köktürk mit dem Tragen einer Kufiya – dem Symbol des palästinensischen Widerstands – für Aufsehen gesorgt.
Dass ein simpleres Shirt nun zum Ausschluss aus dem Parlament führt, lässt tief blicken: Die politische Solidarität mit Palästina wird im Bundestag nicht nur ignoriert – sie wird kriminalisiert. In Zeiten, in denen Israel für viele zum Prüfstein des politischen Anstands erklärt wurde, wird jeder Ausdruck von Solidarität mit den Palästinenser*innen zum Tabubruch erklärt. Für Linke wie Köktürk bleibt dabei nur eine schmale Gratwanderung zwischen Gesinnungstreue und parlamentarischem Ausschluss.
Ein weiteres Beispiel politischer Symbolzensur lieferte der Ausschluss von Marcel Bauer, Abgeordneter der Linken aus Karlsruhe. Bauer, bekannt für seine schwarze Baskenmütze, weigerte sich Mitte Mai, diese im Plenum abzunehmen – woraufhin er von CSU-Vizepräsidentin Andrea Lindholz unter Applaus von CDU/CSU und AfD des Saals verwiesen wurde. Ein klarer Machtbeweis – ohne jede formale Grundlage. Es gibt keine verbindliche Kleiderordnung, nur „parlamentarische Gepflogenheiten“. Und offenbar zählen die Symbole der radikalen Linken nicht dazu.
Dass ausgerechnet eine schlichte Kopfbedeckung zum Politikum wird, verdeutlicht die Symbolpolitik des Bundestages: Was nicht ins Bild passt, wird verbannt. Dass Bauer, ein junger linker Abgeordneter, diese Mütze nicht zufällig trägt, sondern als Zeichen einer kämpferischen, sozialistischen Politik versteht, stört dabei wenig. Entscheidend ist, dass sie stört. Dass sie aneckt. Dass sie sichtbar macht, was vielen im Bundestag unangenehm ist: Klassenbewusstsein.
Ob Kufiya, ACAB-Pulli oder Baskenmütze: In jedem dieser Fälle geht es nicht um Kleidungsstücke. Es geht um die politische Botschaft, die sie tragen – und um die autoritären Reaktionen, die sie hervorrufen. Wer heute im Bundestag ein Zeichen gegen Kolonialismus, Polizeigewalt oder Reichtum setzt, wird nicht mit politischer Auseinandersetzung konfrontiert, sondern mit Ausschluss, Empörung und Disziplinarmaßnahmen.
Was bleibt, ist ein politisches Klima, in dem linke Symbolik als Provokation, rechte Provokation jedoch als „Meinungsfreiheit“ gilt. Während die AfD rassistische Narrative im Parlament salonfähig macht, wird jeder Ausdruck von Solidarität mit Unterdrückten zur Grenzüberschreitung erklärt. Es ist kein Zufall, dass gerade junge, linke Stimmen im Zentrum dieser Konflikte stehen. Es ist ein System.
Und genau deshalb sind Stimmen wie die von Nietzard, Köktürk und Bauer so dringend nötig. Sie zeigen, dass Widerstand nicht nur auf der Straße stattfindet – sondern auch im Plenum. Auch wenn er dort systematisch zum Schweigen gebracht werden soll.