Rechtsbruch mit Ansage
Die Zurückweisungspolitik von Merz und Dobrindt ist gescheitert – juristisch, politisch und moralisch

Es war eines der zentralen Wahlversprechen von Kanzler Friedrich Merz und seinem rechten Hardliner im Innenministerium, Alexander Dobrindt: Wer ohne gültige Papiere ankommt, wird abgewiesen. Punkt. Das war der autoritäre Soundtrack eines Wahlkampfs, der sich weniger um Lösungen als um Stimmungen drehte. Und jetzt? Jetzt kracht die Realität mit voller Wucht zurück.
Das Berliner Verwaltungsgericht hat die sogenannte „Zurückweisungspolitik“ an den deutschen Grenzen gestoppt – zumindest vorläufig. Drei Asylsuchende aus Somalia, die Anfang Mai in Frankfurt (Oder) abgewiesen und nach Polen zurückgeschoben wurden, hatten geklagt. Das Urteil der Richter*innen ist ein juristischer Paukenschlag: Mit „sehr hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig“, so die Einschätzung. Und: EU-Recht bricht deutsches Wunschdenken.
Während Dobrindt trotzig erklärt, man wolle an der Praxis festhalten und die Entscheidung sei „nur ein Einzelfall“, stellen die Richter klar: Das europäische Asylrecht ist kein Buffet, an dem sich die Bundesregierung nur die Rosinen picken kann. Wer Schutz sucht, hat ein Recht auf ein faires Verfahren – auch, wenn es Merz und Dobrindt politisch nicht passt.
Der Versuch, Paragraph 18 des deutschen Asylgesetzes mit bilateralen Abkommen und einem vagen Verweis auf Artikel 72 AEUV zu kombinieren, ist gescheitert. Das Gericht zerlegt die Argumentation der Bundesregierung in Einzelteile: Keine ausreichende Gefahrenlage, keine Begründung, keine Rechtsgrundlage. Und selbst wenn Polen zustimmen würde: EU-Recht ist nicht verhandelbar.
Was hier sichtbar wird, ist ein autoritärer Staatsumbau im Zeitraffer. Ein Kanzler, der sich offen über geltendes Recht hinwegsetzt. Ein Innenminister, der die Axt an das europäische Asylsystem legt. Und eine Bundesregierung, die damit rechnet, dass Betroffene oft keine Möglichkeit haben, sich juristisch zur Wehr zu setzen. Nur: Diesmal haben sie es getan.
Die SPD versucht, zurückzurudern. Zu spät. Zu zögerlich. Ralf Stegner bringt es auf den Punkt: Die rechte Rhetorik der CSU hat nun ihren Praxistest – und der endet vorerst mit einer Klatsche. Ob das reicht, um einen Kurswechsel einzuleiten? Wohl kaum. Die Union steht geschlossen hinter Dobrindt, von der Kanzlerpartei ganz zu schweigen.
Dabei ist die Botschaft des Gerichts eindeutig: Wer Menschenrechte mit Füßen tritt, wer das europäische Rechtssystem aushöhlt, wird gestoppt. Vielleicht nicht von sich selbst – aber von Gerichten, von der Zivilgesellschaft, von denen, die nicht aufhören, für eine andere Politik zu kämpfen.
Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Verfassungsbruch zur Regierungslinie wird. Wir dürfen nicht still bleiben, wenn staatliche Organe Menschenrechte als Verhandlungsmasse betrachten. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist ein Etappensieg – mehr nicht. Die Bundesregierung will weiter abschieben, weiter abweisen, weiter Angst schüren.
Der Widerstand dagegen muss lauter werden. Sichtbarer. Hartnäckiger. Von Leipzig bis Lampedusa, von Frankfurt (Oder) bis in den Bundestag. Denn während die einen von Ordnung und Sicherheit reden, meinen sie Kontrolle und Ausschluss.