Es ist ein eiskalter Morgen in Dresden, doch vor dem sächsischen Innenministerium brodelt die Stimmung. Ein Dutzend Aktivist*innen hält Schilder in die Höhe: "Polizei entwaffnen, Nazis entwaffnen!" steht darauf. Ein Mann mit dicker Winterjacke schüttelt fassungslos den Kopf: "Wie kann ein Staat 1,8 Tonnen Munition einfach so verschwinden lassen?" Die Antwort auf diese Frage ist ebenso brisant wie beunruhigend.
Ein Skandal mit Ansage
Die sächsische Polizei hat bestätigt, dass fast 190.000 Schuss Munition aus ihren Beständen fehlen. Dazu kommen eine größere Menge an Waffen und Schlagstöcke. Angeblich sollen "Fehler in der Nachweisführung" dafür verantwortlich sein – eine Erklärung, die nicht nur dünn klingt, sondern angesichts der Vorgeschichte des Freistaats eine gefährliche Verharmlosung darstellt.
Bereits 2021 war bekannt geworden, dass Beamte in Sachsen Munition für "privates Schießtraining" entwendet hatten. 7.000 Schuss Munition landeten so außerhalb der legalen Kanäle – und das, obwohl Rechtsextremismus innerhalb der Sicherheitsbehörden immer wieder für Schlagzeilen sorgt. Damals versicherte die Landesregierung, dass so etwas nie wieder vorkommen würde. Heute wissen wir: Das war eine Lüge.
Die Spur führt ins Dunkel – und nach Rechts?
Wohin verschwinden solche Mengen an Waffen und Munition? Dass sie sich einfach "in der Buchhaltung" verirrt haben, wie es die Behörden darstellen, erscheint angesichts der Dimension des Falls absurd. Vielmehr zeigt die Vergangenheit: Wenn Waffen in Sachsen verschwinden, tauchen sie oft an Orten wieder auf, wo man sie am wenigsten haben möchte.
Der rechtsterroristische "NSU" hatte Verbindungen zur sächsischen Neonazi-Szene und konnte sich jahrelang unbehelligt in Zwickau verstecken. 2017 flog das rechtsradikale Netzwerk "Nordkreuz" auf – bestehend aus Polizisten, Soldaten und Behördenmitarbeitern, die sich auf einen "Tag X" vorbereiteten. Ihr Arsenal? Gestohlene Behördenmunition. Im Jahr 2020 wurde ein SEK-Beamter aus Sachsen verhaftet, weil er illegal Waffen und Munition gehortet hatte. Ein Einzelfall? Sicher nicht.
Die sächsische Polizei und Landesregierung scheinen jedoch wenig Interesse daran zu haben, diesen Fragen nachzugehen. Stattdessen beteuert man, dass es sich lediglich um "Mängel in der Nachweisführung" handle. Dabei ist die Liste verschwundener Waffen in Deutschland erschreckend lang – und die Verbindung zu rechten Netzwerken kaum von der Hand zu weisen.
Wer schützt uns vor der Polizei?
Das eigentliche Problem reicht über diesen aktuellen Skandal hinaus. Es geht um eine Polizei, die sich immer wieder als Staat im Staate geriert, in der rechte Umtriebe nicht nur geduldet, sondern teilweise aktiv gefördert werden. Wer kontrolliert die Polizei, wenn ihre Waffen in dunklen Kanälen verschwinden? Wer trägt die Verantwortung, wenn sich rechte Netzwerke weiter mit gestohlener Behördenmunition bewaffnen?
"Dass wir über Monate nichts von diesem Skandal erfahren haben, zeigt, dass hier vertuscht werden sollte", sagt die Innenexpertin der Linken, Kerstin Köditz. "Es ist eine sicherheitspolitische Katastrophe, und es muss endlich Konsequenzen geben."
Was jetzt passieren muss
Die sächsische Landesregierung muss gezwungen werden, endlich Transparenz zu schaffen. Unabhängige Untersuchungsausschüsse, eine drastische Verschärfung der Kontrollen über polizeiliche Waffenkammern und vor allem: eine schonungslose Aufarbeitung rechter Netzwerke innerhalb der Behörden. Gleichzeitig müssen progressive Bewegungen weiter Druck aufbauen – mit Recherchen, Protesten und öffentlichem Druck. Denn wenn die Behörden uns nicht schützen, bleibt es an uns, für unsere eigene Sicherheit zu sorgen.
Die Frage ist nicht nur, wo diese Munition jetzt ist. Die Frage ist, wie lange wir es uns noch leisten können, einer Polizei zu vertrauen, die immer wieder beweist, dass sie nicht auf unserer Seite steht.