Die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht nimmt in Deutschland wieder Fahrt auf. Während die SPD offiziell einen „attraktiven freiwilligen Dienst“ vorschlägt, plädieren ehemalige Wehrbeauftragte der Partei für eine Rückkehr zur allgemeinen Dienstpflicht – inklusive einer Einberufung von Frauen. Doch was steckt hinter diesen Forderungen? Und welche Rolle spielt die Militarisierung der Gesellschaft in Zeiten globaler Unsicherheiten?
Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 galt Deutschland als Land, das sich vom massenhaften Rekrutieren junger Menschen für das Militär verabschiedet hatte. Diese sogenannte „Friedensdividende“ war die Konsequenz einer sicherheitspolitischen Neubewertung nach dem Kalten Krieg. Doch spätestens mit dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde diese Haltung in Frage gestellt. Die NATO fordert eine massive Aufrüstung, Deutschland liefert Waffen in Kriegsgebiete – und nun soll auch die Bundeswehr personell aufgestockt werden.
Reinhold Robbe, Ex-Wehrbeauftragter der SPD, argumentiert, dass sich die sicherheitspolitische Lage grundlegend verändert habe und ein „Stufenplan“ zur Wiedereinführung der Wehrpflicht nötig sei. Die vorgeschlagene Truppenstärke von 250.000 Soldat*innen erinnert dabei an Zeiten, in denen Deutschland sich auf einen Großkonflikt mit der Sowjetunion vorbereitete. Die Forderung nach einer „breiten gesellschaftlichen Diskussion“ ist dabei vor allem eines: ein Versuch, die Bevölkerung an die Vorstellung einer neuen Kriegsbereitschaft zu gewöhnen.
Besonders brisant ist die Forderung nach einer Wehrpflicht für Frauen. Jahrzehntelang wurde feministische Kritik am Militär mit dem Argument abgetan, dass Krieg und Gewalt männlich dominierte Sphären seien. Nun aber, wo es um Rekrutierung geht, entdecken Verteidigungspolitiker*innen plötzlich die „Gleichberechtigung“. Doch feministische Politik bedeutet nicht, dass Frauen in Kriege geschickt werden, sondern dass Strukturen der Gewalt abgeschafft werden.
Die Einbindung von Frauen in die Bundeswehr hat in der Vergangenheit nicht etwa zu einer friedlicheren Armee geführt, sondern lediglich dazu, dass sexistische Machtstrukturen sich innerhalb des Militärs fortsetzen. Sexuelle Gewalt und Diskriminierung sind weiterhin ein massives Problem in Streitkräften weltweit – auch in der Bundeswehr. Eine allgemeine Dienstpflicht für Frauen würde also nicht mehr Gerechtigkeit schaffen, sondern lediglich das bestehende System der Militarisierung ausweiten.
Die Diskussion um die Wehrpflicht ist kein isoliertes Phänomen, sondern reiht sich in einen autoritären politischen Kurs ein, der sich in Krisenzeiten verstärkt. Während soziale Absicherungssysteme ausgehöhlt werden, Wohnraum unbezahlbar wird und rechte Netzwerke in Polizei und Militär weiter wuchern, setzen Politik und Militär auf eine Lösung: mehr Kontrolle, mehr Aufrüstung, mehr Militarisierung.
Die Rückkehr der Wehrpflicht würde bedeuten, dass junge Menschen wieder zwangsweise in staatliche Strukturen eingebunden werden, die sich zunehmend nationalistisch und aggressiv positionieren. Wer sich dagegen wehrt, riskiert Sanktionen. Wer sich für pazifistische Alternativen ausspricht, wird als „naiv“ abgestempelt.
Doch anstatt junge Menschen in Uniformen zu stecken, sollte eine ernsthafte Debatte darüber geführt werden, wie eine friedliche und soziale Gesellschaft in Zeiten multipler Krisen aussehen kann. Investitionen in Bildung, Klimaschutz, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherheit wären nachhaltigere Maßnahmen als die Vorbereitung auf den nächsten Krieg.
Die Militarisierung Europas ist in vollem Gange, und Deutschland spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht – ob freiwillig oder verpflichtend – ist Teil dieser Strategie. Doch es gibt Widerstand: Friedensbewegungen, Antimilitaristinnen und linke Aktivistinnen kämpfen gegen den Ausbau der Bundeswehr und setzen sich für eine Welt ohne Zwang und Krieg ein.
Die Frage ist nicht, ob Deutschland wieder eine Wehrpflicht braucht. Die Frage ist, wie wir verhindern, dass Militarisierung als alternativlos dargestellt wird. Eine Gesellschaft, die Sicherheit durch Aufrüstung definiert, schafft keine Sicherheit – sie bereitet sich auf den nächsten Krieg vor.