Springers Lügen
Ein Lehrstück über medialen Machtmissbrauch, patriarchale Projektionen und die systematische Delegitimierung queerer Subjektivität.
Es war eine gezielte Vernichtungskampagne – und sie kam aus dem Zentrum der deutschen Medienlandschaft: Im Herbst 2024 verbreiteten Bild und B.Z., Flaggschiffe des Axel-Springer-Verlags, eine Reihe schwerwiegender Falschbehauptungen über die Berliner Polizistin Judy S. Die Boulevardblätter stilisierten eine absurde Geschichte um angebliche Sexualdelikte mit Drogen und einer Penispumpe – gewürzt mit dem transfrauenfeindlichen Vorwurf, Judy S. sei „in Wahrheit ein Mann“. Heute wissen wir: Keine dieser Behauptungen war wahr. Doch der Schaden ist längst angerichtet.
Der Fall ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines strukturellen Problems: der gezielten medialen Inszenierung transfeindlicher Narrative durch rechte und rechtsoffene Medienhäuser. Die Unterstellung, eine trans Frau sei ein verkleideter Täter, bedient eine lange Geschichte patriarchaler Projektion. Sie stilisiert trans Frauen zu Bedrohungen für „echte Frauen“ und entmenschlicht sie zu sexualisierten Monstern. Das ist kein Zufall, sondern tief verwurzelt im antifeministischen Denken, das Weiblichkeit normiert und zugleich trans Weiblichkeit dämonisiert.
Transfeindlichkeit funktioniert hier als Scharnierideologie: Sie verknüpft patriarchale Ängste mit rassistischer Panikmache („die andere, gefährliche Identität“) und autoritären Kontrollfantasien. Sie schafft Feindbilder, die sich politisch instrumentalisieren lassen – und genau das ist die Strategie von Medien wie Bild, die längst nicht mehr nur boulevardesk berichten, sondern aktiv rechte Diskurse befeuern.
Die psychische und soziale Gewalt, die Judy S. durchleben musste, ist kaum in Worte zu fassen. Diffamiert, geoutet, sexualisiert – und all das öffentlich, millionenfach verbreitet, unter der Flagge vermeintlicher „Recherche“. Der Presserat hat zwar zwei Rügen ausgesprochen, die Entschädigung soll laut Tagesspiegel bei 150.000 Euro liegen – doch was ist das im Vergleich zur Zerstörung persönlicher Integrität, beruflicher Sicherheit und öffentlicher Würde?
Die Konsequenz: Jeder trans Mensch, der in der Öffentlichkeit steht, muss mit einer ähnlichen medialen Hetze rechnen. Die Botschaft ist klar: „Wenn du sichtbar wirst, machen wir dich fertig.“ Das ist Einschüchterung. Es ist Erpressung durch Öffentlichkeit. Es ist strukturelle Gewalt.
Der Axel-Springer-Verlag ist nicht irgendein Medienhaus. Er ist ein politischer Akteur mit klarem ideologischem Kompass – wirtschaftsliberal, transatlantisch, antisozial. Wer die Geschichte dieses Hauses kennt, weiß, dass rechte Mobilisierung hier kein Betriebsunfall, sondern Geschäftsmodell ist. Von der Diffamierung linker Bewegungen bis zur Normalisierung der AfD-nahen Positionen – Springer-Medien agieren längst als publizistische Vorfeldorganisation des autoritären Backlashs.
Die Hetze gegen Judy S. reiht sich nahtlos ein in diese Logik: Sie bedient ein Publikum, das mit der bloßen Existenz von trans Menschen überfordert ist – und das lieber ein Zerrbild konsumiert, das die eigene Angst bestätigt. Der Verlag entschuldigt sich jetzt, weil er muss. Nicht, weil er verstanden hat.
Dieser Fall zeigt: Der Kampf für Transrechte ist kein Nischenthema. Er ist ein zentraler Baustein antifaschistischer, feministischer und antirassistischer Politik. Denn überall dort, wo Geschlechtergrenzen polizeilich, medizinisch oder medial überwacht und sanktioniert werden, greifen die Werkzeuge autoritärer Kontrolle: Pathologisierung, Kriminalisierung, Entmenschlichung.
Wer heute schweigt, wenn eine trans Frau öffentlich verleumdet wird, schweigt auch, wenn morgen eine Schwarze Frau rassistisch kontrolliert oder eine nicht-binäre Person im Asylverfahren entrechtet wird. Der Faschismus beginnt immer mit der Ausgrenzung – und findet seine Normalisierung in der Mitte.
Was wir brauchen, ist kein Lippenbekenntnis zur Pressefreiheit. Wir brauchen eine neue Öffentlichkeit, die Verantwortung übernimmt, statt Macht zu missbrauchen. Wir brauchen Journalist*innen, die sich nicht vor der Wahrheit fürchten, sondern vor der Lüge. Und wir brauchen Medien, die sich nicht an den Rechten anbiedern, sondern an der Seite derer stehen, die täglich angegriffen werden – strukturell, sprachlich, körperlich.
Die Geschichte von Judy S. ist noch nicht vorbei. Aber sie ist ein Weckruf für alle, die glauben, in Deutschland seien Grundrechte sicher. Sie sind es nicht – solange Konzerne wie Springer die Deutungshoheit behalten. Und solange wir trans Menschen nicht als das begreifen, was sie sind: Kämpfer*innen für eine Welt, in der alle Menschen frei, sicher und sichtbar leben können.
[dpr]