Trauriger Rekord
Über 61.000 Beratungen – dreimal so viele wie noch 2013. Die Gewalt steigt. Die Hilferufe auch. Doch politisch passiert: kaum etwas.
Während die Bundesregierung über „Leitkultur“ debattiert und rechte Hetze gegen Feminismus wieder zum Koalitionsprogramm gehört, brennt im Hintergrund eine brutale Realität: Täglich melden sich im Schnitt mehr als 160 Frauen beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. 61.235 Beratungen im Jahr 2024 – so viele wie nie zuvor. Die Zahl hat sich seit 2013 verdreifacht. Und das ist keine Statistik. Das sind Leben. Geschichten. Traumata.
Drei von vier der Anrufenden sind selbst von Gewalt betroffen. Häusliche Gewalt. Sexualisierte Gewalt. Gewalt, die oft von Männern ausgeht, die sich sicher sein könnn: Der Staat wird schon wegsehen. Oder zu spät kommen.
Ob Femizide, alltägliche Bedrohungen oder psychische Gewalt – geschlechtsspezifische Gewalt ist keine Randerscheinung. Sie ist Alltag. Systemisch. Und sie betrifft alle: die betroffenen Frauen, deren Kinder, deren Familien, deren Kollektive. Sie zerstört Leben, schränkt Freiheit ein, tötet.
Trotz der alarmierenden Zahlen kommt das neue Gewalthilfegesetz viel zu spät – und bleibt in vielen Punkten zahnlos. Vielerorts fehlen Schutzräume, Beratungsstellen, spezialisierte Fachkräfte. Die Last tragen weiterhin die Betroffenen selbst – und eine Handvoll engagierter Berater*innen, die im Notrufsystem fast rund um die Uhr arbeiten.
Die Nummer 116 016 ist erreichbar. Europaweit. Anonym. Kostenlos. Das ist gut – aber bei Weitem nicht genug. Ein Notruf rettet keine. Und er ersetzt keinen politischen Willen, patriarchale Gewalt an der Wurzel zu packen: im Bildungssystem, im Strafrecht, in der Polizei, in der Gesundheitsversorgung, in jeder Stadt und in jedem Dorf.
Wer den Kampf gegen Gewalt an Frauen ernst meint, muss genau dort ansetzen – nicht nur beim „Krisentelefon“, sondern bei der patriarchalen Normalität, die Gewalt immer wieder ermöglicht. Und dabei reicht kein Tweet zum 8. März. Was es braucht, sind Geld, Gesetze, Schutzräume – und eine feministische Offensive gegen den blutigen Alltag, den diese Zahlen zeigen.