'Was haben die denn immer mit ihren Menschenrechten?'
Eine Kolumne von Mycroft Abbington – über Symbolpolitik, queere Unsichtbarmachung und die feige Neutralität eines Parlaments, das seine Vergangenheit lieber vergisst, als aus ihr zu lernen.
Es ist Sommer in Berlin – und damit eigentlich Zeit für Regenbogenfahnen, für Sichtbarkeit, für Stolz. Doch der Bundestag bleibt dieses Jahr grau. Kein Hissen der Pride-Flagge, kein Stand des queeren Mitarbeiter*innen-Netzwerks beim CSD Berlin. Und warum? Wegen “politischer Neutralität“. So sagt es jedenfalls die Bundestagsverwaltung.
Klingt erstmal harmlos. Ist es aber nicht. Denn was hier passiert, ist der Beginn einer gefährlichen Entwicklung. Wenn queere Beschäftigte des Bundestages nicht mehr sichtbar sein dürfen, wenn der Kampf für Grundrechte und gegen Diskriminierung als “zu politisch” gilt, dann ist das kein Verwaltungsakt – dann ist das politisch. Hoch politisch sogar.
In den Worten der Bundestagsverwaltung: CSDs gingen “über ein allgemeines Bekenntnis zu Menschenrechten und Vielfalt hinaus“. Man wolle nicht den Eindruck erwecken, die Verwaltung des Bundestags würde diese “umfassenden und weitgehenden Forderungen“ mittragen.
Klingt, als hätte jemand Angst vor dem eigenen Schatten. Oder besser gesagt: vor dem queeren Teil der eigenen Belegschaft. Vielleicht auch vor der Realität, dass Sichtbarkeit unbequem ist. Denn Sichtbarkeit ist nicht neutral. Sichtbarkeit ist Widerstand.
Wenn man Vielfalt zensiert, ist das keine Neutralität. Es ist Parteinahme – gegen uns. Gegen alle, die nicht in das enge Weltbild einer weißen, heteronormativen, christlich-abendländischen Leitkultur passen. Gegen all jene, die ihre Körper, ihre Geschichten, ihre Liebe nicht verstecken wollen. Und ja, auch gegen die, die den Bundestag mit Leben füllen – jenseits von Krawatte und CDU-Mief.
Dass Julia Klöckner und andere Unionspolitiker*innen seit Wochen Stimmung gegen den Regenbogen machen, passt ins Bild. Ein Bild, das wir nur zu gut kennen: erst nimmt man uns die Flagge, dann die Bühne, dann den Raum. Schritt für Schritt wird Sichtbarkeit zur Provokation, Solidarität zur Gefahr und der CSD zum Sicherheitsrisiko.
Dabei geht es beim CSD um nichts anderes als das: gleiche Rechte. Gleiche Würde. Gleiche Teilhabe. Dass ausgerechnet die Verwaltung eines Parlaments – eines demokratisch gewählten – das nicht vertreten will, ist nicht nur feige. Es ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die tagtäglich für dieses Land arbeiten und trotzdem nicht dazugehören sollen.
Es ist auch ein Signal. Und zwar das falsche. Denn wenn Sichtbarkeit und Vielfalt als zu politisch gelten, dann ist das kein Zeichen von Neutralität. Dann ist das ein Angriff. Auf queeres Leben, auf Grundrechte, auf uns alle.
Die Verwaltung des Bundestags sollte sich nicht fragen, wie man queere Menschen aus dem Bild drängt. Sondern wie man endlich allen den Platz gibt, den sie verdienen. Im Plenarsaal, auf der Fahnenstange, auf den CSDs.
Wer Menschenrechte ernst nimmt, darf nicht still bleiben, wenn sie eingeschränkt werden – selbst wenn es nur um einen Stand oder eine Fahne geht.
Denn so fängt es an. Mit Symbolen. Mit Schweigen. Mit angeblicher Neutralität. Und wir wissen alle, wie es weitergeht.