Zwischen Tür und Hoffnung / Between the door and hope
Ein Besuch im Flüchtlingsshelter der Alliance for Public Health in Lviv

Ankommen
Das Haus liegt in einer schmalen Seitenstraße. Ein grauer Eingang, daneben ein alter Spielplatz. Ein Ort, wie es ihn tausendfach gibt in dieser Stadt, die sich zwischen Frontlinie und Alltag eingerichtet hat.
Der einzige Hinweis auf das, was sich hinter der Tür verbirgt, ist ein Aufkleber: Alliance – Shelter 3. Kein Schild, keine Kameras. Nur eine Klingel.
Ich werde eingelassen. Eine Helferin nickt mir zu, barfuß, ein Kind auf dem Arm. Im Flur stehen Matratzen aufgereiht, manche mit Stofftieren, andere mit Rucksäcken, in denen das Leben einer ganzen Familie Platz finden musste. Es riecht nach Tee, nach Suppenküche, nach Waschmittel.
Hier lebt niemand freiwillig.
"Ich will, dass sie durchatmen können"
Olena M., 34, ist die Koordinatorin dieses Shelters der Alliance for Public Health – einer NGO, die ursprünglich mit HIV-Aufklärung begann und heute zu den wichtigsten Akteur*innen für vulnerable Gruppen im Ukrainekrieg zählt.
Wir sitzen auf einem schmalen Sofa, während draußen ein Kind weint. Olena wirkt freundlich, bestimmt, erschöpft. Ihre Stimme bleibt leise.
"Viele hier haben Bombardierungen überlebt. Sie sind aus Charkiw, Pokrowsk, Saporischschja. Ich habe Familien hier gehabt, die nur mit einer Plastiktüte ankamen. Das hier soll ein Ort sein, an dem sie wenigstens eine Woche lang nicht überleben müssen, sondern einfach leben dürfen."
Die Shelter von Alliance richten sich an besonders gefährdete Gruppen: queere Menschen, Alleinerziehende, HIV-positive Personen, psychisch belastete Binnenflüchtlinge. Der Bedarf ist riesig, die staatliche Unterstützung minimal.
Die Menschen hier wurden evakuiert oder sind auf eigene Faust geflüchtet. „Niemand hilft dir beim Verlassen deines zerstörten Hauses. Aber wir versuchen, da zu sein, wenn du endlich irgendwo ankommst."
Alltag im Ausnahmezustand
Das Shelter hat Platz für rund 20 Personen – oft sind es mehr.
Die Zimmer sind offen, Gemeinschaft wird organisiert, nicht verordnet. Eine Ecke dient als Kinderspielbereich, eine andere als improvisiertes Büro. Im kleinen Garten stehen zwei Bänke, daneben trocknet Kleidung auf einer Leine.
"Wir haben keine Privatsphäre hier. Nur Respekt."
Was auf dem Papier wie Notversorgung klingt, ist in Wahrheit ein Ort gelebter Solidarität. Die Bewohner*innen übernehmen Aufgaben: kochen, reinigen, übersetzen. Die Struktur ist provisorisch – und funktioniert trotzdem.
"Die Menschen, die hierherkommen, haben Verantwortung hinter sich gelassen. Für andere, für ihre Familien. Hier dürfen sie Verantwortung neu lernen – in einem sicheren Raum."
"Ich hatte nur noch die Katze"
Später treffe ich Yana, 27, aus Slowjansk.
Sie lebt seit vier Wochen im Shelter. Ihre Geschichte klingt wie viele – und ist doch erschütternd einzigartig.
"Als das Haus getroffen wurde, habe ich nur die Katze genommen und bin los. Ich wusste nicht, wohin. Ich wollte nur weg."
Sie war Lehrerin. Jetzt ist sie eine von vielen Vertriebenen, die zwischen Zukunft und Stillstand leben.
"Am Anfang dachte ich, ich bleibe hier drei Tage. Dann weiter. Aber ich habe zum ersten Mal wieder durchgeschlafen. Ohne Angst, dass jemand an der Tür steht."
Yana hilft inzwischen in der Küche, sortiert Kleidung, betreut Kinder. Sie will nicht als Opfer dargestellt werden. Sie spricht ruhig, ohne Dramatik. Vielleicht, weil das Trauma längst Teil ihres Alltags geworden ist.
Ich bin nicht tot. Und das ist genug. Mehr will ich gerade nicht verlangen."
Öffentliche Gleichgültigkeit
Während wir sprechen, kommt eine neue Familie an. Mutter, zwei Kinder, ein kleiner Trolley. Keine Fragen, keine Aufnahmeformulare. Nur Tee, Decken, ein Lächeln. Die Shelter haben gelernt, schnell zu reagieren – weil sie es müssen.
Was fehlt? Fast alles. Finanzierung, Medikamente, psychologische Betreuung. Was bleibt? Engagement, Respekt, improvisierte Systeme.
"Die Regierung? Tut, was sie kann. Aber alles hier lebt von NGOs, Spenden, Menschen, die nicht weggucken."
Olena sagt, die europäische Öffentlichkeit habe aufgehört, sich zu interessieren. Seitdem die russischen Angriffe wieder vor allem den Osten treffen, sei Lwiw aus den Nachrichten verschwunden.
"Aber die Menschen, die hierherkommen, sind genau deshalb hier: Weil der Osten brennt. Weil Dörfer zerstört sind. Weil niemand mehr da ist, der helfen kann."
Hoffnung ist keine Ressource – aber ein Überlebensprinzip
In einem Zimmer sitzt eine ältere Frau und häkelt. Daneben spielt ein Kind mit einem zerbrochenen Plastikauto. Die Geräusche draußen wirken weit weg. Hier drinnen ist Krieg nur Erinnerung – und ein Schatten, der nie ganz verschwindet.
Yana sagt: "Ich weiß nicht, wohin ich will. Aber ich weiß, dass ich überlebt habe. Und das reicht, um weiterzumachen."
Was bleibt?
Ich verlasse das Shelter spät am Nachmittag. Die Luft ist warm, die Stadt leuchtet in gedämpftem Gelb. Ich denke an die Gespräche, die ich nicht geführt habe – weil es nicht der richtige Moment war. Ich denke an die Geschichten, die nie erzählt werden, weil sie zu leise, zu schmerzhaft, zu alltäglich sind.
Vielleicht ist das das größte Versprechen dieses Ortes: Dass er zuhört, wo niemand mehr fragt.
Am Ende frage ich Yana, was sie denen sagen würde, die weit weg sind.
In Berlin. In Paris. In Leipzig.
"Ihr müsst nicht jeden Tag an uns denken. Aber vergesst uns nicht. Das wäre schon viel."
🇬🇧English version
*Automatic translation*
A visit to the Alliance for Public Health refugee shelter in Lviv
Arriving
The house is located in a narrow side street. A gray entrance, next to an old playground. A place like thousands of others in this city that has settled between the front line and everyday life.
The only indication of what lies behind the door is a sticker: Alliance - Shelter 3. No sign, no cameras. Just a bell..
I am let in. A helper nods to me, barefoot, a child in her arms. Mattresses are lined up in the hallway, some with stuffed animals, others with rucksacks that have had to accommodate the lives of an entire family. It smells of tea, soup kitchen, detergent.
Nobody lives here voluntarily.
"I want them to be able to breathe"
Olena M., 34, is the coordinator of this shelter for the Alliance for Public Health - an NGO that originally started with HIV education and is now one of the most important actors for vulnerable groups in the war in Ukraine.
We sit on a narrow sofa while a child cries outside. Olena seems friendly, determined, exhausted. Her voice remains quiet.
"Many here have survived bombing. They are from Kharkiv, Pokrovsk, Zaporizhia. I've had families here who arrived with just a plastic bag. This is supposed to be a place where they don't have to survive for at least a week, but can simply live."
Alliance's shelters are aimed at particularly vulnerable groups: queer people, single parents, HIV-positive people, mentally distressed internally displaced persons. The need is huge, the state support minimal.
People here have been evacuated or have fled on their own. "Nobody helps you leave your destroyed house. But we try to be there when you finally get somewhere."
Everyday life in a state of emergency
The shelter has space for around 20 people often more.
The rooms are open, community is organized, not imposed. One corner serves as a children's play area, another as an improvised office. There are two benches in the small garden, with clothes drying on a line next to them.
"We have no privacy here. Only respect."
What sounds like emergency care on paper is actually a place of lived solidarity. The residents take on tasks: cooking, cleaning, translating. The structure is provisional - but it still works.
"The people who come here have left responsibility behind. For others, for their families. Here they can releam responsibility in a safe space."
"I only had the cat left"
Later, I meet Yana, 27, from Slovyansk.
She has been living in the shelter for four weeks. Her story sounds like many and yet it is shockingly unique.
"When the house was hit, I just took the cat and left. I didn't know where to go. I just wanted to get away."
She was a teacher. Now she is one of many displaced people living between the future and stagnation.
"At the beginning, I thought I'd stay here for three days. Then move on. But I slept through the night again for the first time. Without fear that someone would be at the door."
Yana now helps in the kitchen, sorts clothes and looks after children. She doesn't want to be portrayed as a victim. She speaks calmly, without drama. Perhaps because the trauma has long since become part of her everyday life.
I am not dead. And that's enough. I don't want to ask for more right now."
Public indifference
As we speak, a new family arrives. Mother, two children, a small trolley. No questions, no admission forms. Just tea, blankets, a smile. The shelters have learned to react quickly because they have to.
What is missing? Almost everything. Funding, medication, psychological support. What remains? Commitment, respect, improvised systems.
"The government? Does what it can. But everything here lives from NGOs, donations, people who don't look away."
Olena says that the European public has stopped taking an interest. Since the Russian attacks started hitting the east in particular again, Lviv has disappeared from the news.
"But the people who come here are here precisely for that reason: Because the east is burning. Because villages have been destroyed. Because there is no one left to help."
Hope is not a resource but a principle of survival
An elderly woman sits in a room crocheting. Next to her, a child is playing with a broken plastic car. The sounds outside seem far away. In here, war is just a memory - and a shadow that never completely disappears.
Yana says: "I don't know where I'm going. But I know that I have survived. And that's enough to keep going."
What remains?
I leave the shelter late in the evening. The air is warm, the city glows a muted yellow. I think about the conversations I didn't have because it wasn't the right moment. I think of the stories that never get told because they are too quiet, too painful, too mundane.
Perhaps that is the greatest promise of this place: that it listens where no one asks anymore.
At the end, I ask Yana what she would say to those who are far away. In Berlin. In Paris. In Leipzig.
"You don't have to think about us every day. But don't forget us. That would be a lot."