Triggerwarnung
Dieser Text enthält Passagen über emotionale Manipulation, Lovebombing, Machtmissbrauch, transfeindliche Erfahrungen und verletzende Dynamiken in eigentlich schützenden Räumen.
Wenn dich diese Themen betreffen oder gerade zu viel für dich sein könnten, nimm dir den Raum, den du brauchst. Du musst das nicht allein lesen – du musst das auch überhaupt nicht lesen. Deine Gefühle sind wichtig, dein Wohlergehen zählt.
Wenn du magst, komm zu einem späteren Moment zurück – oder lass es ganz. Pass gut auf dich auf. Du bist nicht allein.
Wenn du merkst, dass dich etwas aus diesem Text belastet oder du Unterstützung brauchst, bist du nicht allein. Es gibt Menschen und Orte, die für dich da sind.
Hier ein paar Anlaufstellen, an die du dich vertraulich und anonym wenden kannst:
Nummer gegen Kummer: 116 111 – kostenfrei & anonym
Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 – rund um die Uhr und Online
Trans Hilfe Telegram Bot: @trans_hilfe_bot
Wildwasser e.V.: Hilfe bei sexualisierter Gewalt – www.wildwasser.de
Psychosoziale Beratung in deiner Region findest du oft über queere Zentren oder die Kassenärztliche Vereinigung
Du musst nichts alleine durchstehen. Es ist okay, Hilfe anzunehmen. Es ist stark, für sich selbst zu sorgen.🖤❤️
2193 Sekunden
Insgesamt über 36 Minuten. So lang sind die Sprachnachrichten, die wir nach Veröffentlichung unserer Recherche von Yu erhielten. 2193 Sekunden, verteilt auf 14 Nachrichten. Eine Lawine an Erklärungen, Relativierungen, Rechtfertigungen.
Gitarre, Glanz & Manipulation
Spätestens seit dem Song "Moshpit", ist Yu sehr bekannt in der linken Szene. Auch wenn dey manchen zu radikal war, feierten viele deren Musik, die oft klare Position gegen den Faschismus enthielt.
“Das klingt jetzt scheiße – aber das war wertvolle Arbeitszeit, die ich damit verschwendet habe. Das war’s mir im Nachhinein nicht wert! Einen Brief von deren Anwalt mit einer Unterlassungsklage hätte ich besser gefunden.” So habe ich es vor einpaar Tagen geschrieben.
Wir könnten diese Nachrichten getrost ignorieren. Wirklich.
Aber dann würden wir auch ignorieren, was sie offenlegen: eine tiefe Kritikunfähigkeit. Eine Erwartung, dass Kritik verschwindet, sobald dey sich meldet. Als könnten 36 Minuten Sprachnachrichten Argumente entwerten und Diskurse umbiegen.
Diese Nachrichten sind keine Anmerkungen, kein Dialog, kein Versuch einer Verständigung. Sie sind eine klare Aufforderung, unsere Arbeit zu widerrufen und niederzulegen.
Und genau das ist gefährlich.
Denn es zeigt, was auch bei der AfD zu beobachten ist: Wenn kritisierte Personen es schaffen, Kritik strukturell verschwinden zu lassen, wird nicht nur das Problem unsichtbar – sondern auch das politische Klima verschoben.
In diesen 36 Minuten wird uns unter anderem Ableismus unterstellt. Wir nehmen das ernst. Auch wenn es absurd erscheint. Denn Alex Clark, verfassende Person dieser Recherche, ist selbst autistisch. Und deren Reaktion auf diese Unterstellung ist eindeutig:
“Als autistische Person bin ich unglaublich wütend über deren Aussagen! Das schadet allen Personen auf dem Spektrum.”
– Alex Clark, Redakteur*in & Autor*in
Der Anfang allen übels
Es ist spät. Eigentlich sind wir schon fast im Bett, als uns die erste Nachricht von dem erreicht. Ich stürme ins Bad, wo sich Alex gerade bettfertig macht. Ich hämmere gegen die Tür und brülle so laut, dass vermutlich das halbe Haus es hört:
“Alex! Beeil dich! Wir haben eine Antwort!”
“Was für eine Antwort?” fragt mein Mitbewohner durch die Tür, halb genervt, halb müde.
“Na, von Yu! Komm schnell!” rufe ich, ohne zu ahnen, dass das hier nur der Anfang ist.
Wenige Minuten später sitzen wir nebeneinander auf dem Sofa – aufgeregt, gespannt, nervös.
Mein Handy spricht:
“Hallo, mir wurde von einer befreundeten Person euer Beitrag weitergeleitet. Eigentlich reagiere ich auf das alles nicht, weil mich das emotional mitnimmt.”
Eine kurze Pause.
“Ähm, aber ich habe selten so viele Missverständnisse auf einmal erlebt und hoffe wirklich, dass es sich nur um Missverständnisse handelt – und nicht um Absicht. Deshalb möchte ich auf jeden einzelnen Punkt eingehen, um das alles klarzustellen. Ähm, Sekunde – das werden jetzt ein paar Sprachnachrichten.”
TripplD
“Also, zuerst zu TripplD.”
Die zweite Sprachnachricht startet. Deren Stimme klingt ruhig – fast zu ruhig. Berechnend? Gespielt? Wir sehen uns kurz an. Noch geben wir uns keine Antwort, aber der Bauch ist angespannt.
“Ich habe mich ganz oft als weiblich vorgestellt. Nicht auf Social Media – da habe ich das vermieden, weil ich so viel Hass dafür abbekommen habe.”
Aha. Schon der Einstieg lässt uns stutzen. Widersprüchlich, vage, ausweichend. Alex verzieht das Gesicht leicht. Ich merke, wie sich in mir Abwehr regt. Warum klingt das alles so glattgebügelt?
“Die Songs, die ich damals hochgeladen habe – ich habe die mit 13 aufgenommen. Sie wurden ohne mein Einverständnis veröffentlicht. Das war ein Versuch, mich bloßzustellen: ‚Guck mal, wie schlecht ich bin.‘ Es war alles Teil eines größeren gesellschaftskritischen Kontextes, das habe ich auch damals schon so formuliert. Aber als der Hass wegen meiner Transidentität über mich hereinbrach, habe ich die Songs offline genommen.”
Gesellschaftskritik? Ernsthaft? Wir tauschen einen skeptischen Blick. Die Erzählung wirkt, als wäre sie nachträglich sauber zusammengesetzt – zu sauber. Zu durchdacht. Vor allem: zu sehr darauf angelegt, uns Schuldgefühle einzureden.
“Und dann wurden sie wieder hochgeladen – von anderen. Mit einem Fake-Profil, das vorgibt, ich zu sein. Damit hatte ich nichts zu tun.”
Natürlich. Die alte Masche: Schuld sind immer die anderen. Wir hören die nächste Nachricht mit wachsender Anspannung.
“Ähm… auch zum Song Lügner. Ganz ehrlich, ich erinnere mich kaum noch daran. Das ist wirklich viele Jahre her, und der Song wurde ohne meinen Konsens veröffentlicht. Ich weiß, da wurde behauptet, ich hätte das N-Wort benutzt – aber das stimmt nicht. Es war Mumble-Rap, völlig unverständlicher Quatsch.”
Jetzt wird’s absurd. Erst keine Erinnerung, dann doch ganz genau wissen, was nicht gesagt wurde? Ich beiße mir auf die Lippe. Das ist nicht einfach nur verwirrend – das ist manipulativ.
“Und selbst wenn – meine heutige Haltung ist eindeutig. Ich würde das N-Wort niemals sagen. Es ist absolut problematisch – genauso wie wenn nicht-betroffene Menschen das Z-Wort oder das E-Wort verwenden. Ich finde das nicht okay. Und… ich gehe gleich auf weitere Punkte ein.”
Schönes Statement. Klingt wie aus dem Lehrbuch. Aber während Yu spricht, wächst in uns der Verdacht: Dey redet nicht mit uns – dey redet über uns. Glättet Widersprüche, vertuscht Brüche, schiebt Verantwortung weg.
Und wir sitzen da. Zuhörend, aber nicht glaubend. Wachsam. Misstrauisch. Vielleicht auch wütend – nicht über die Worte, sondern über das Gefühl, dass wir hier gerade gezielt eingelullt werden sollen.
Es ist zum zittern
“Dann wurde gesagt, dass ich Witze über eine Transfrau gemacht hätte… oder über Transfrauen in Umkleiden... oder irgendwie ein Video dazu hätte.”
Schon der Einstieg ist ein einziges Ausweichen. Unkonkret, abwehrend, relativierend. Wir lehnen uns zurück – der Ton ist uns vertraut. So redet jemand, der sich rauswinden will.
“Ich hatte ein Video über Transfrauen im Sport. Da habe ich von Transsexualität geredet, weil ich selber nie ‘educated war…”
Alex zieht die Augenbrauen hoch. Ich spüre, wie mein Misstrauen wieder hochkocht. “Educated” ist dey also nicht gewesen – aber das Video musste trotzdem online bleiben, bis eine Freundin dem darauf hingewiesen hat? Warum wirkt das alles wie nachträgliches Framing?
“Ich wusste schon früh, dass ich nicht männlich bin, aber ich hatte keine Labels im Kopf und wusste nicht, dass es Transidentität gibt…”
Das ist vielleicht ehrlich gemeint – aber es klingt wie ein Freispruch auf Raten. Als würde die Unwissenheit alles entschuldigen. Und trotzdem: Dey hatte genug Wissen, um Videos über andere Transpersonen zu machen?
“…Dann habe ich’s runtergenommen, weil eine sehr gute Freundin, *Zensiert* – sie macht auch Social Media Content und ist eine Transfrau – mich darauf angesprochen hat. Und ich habe gehandelt.”
Wir sehen uns an. Wieder so eine Stelle, bei der uns mulmig wird. Dieses Muster: Erst auf Kritik reagieren, nachdem sie aus dem engen Kreis kommt – nie aus Einsicht, nie aus Verantwortung. Immer erst, wenn’s unbequem wird.
“Das verstehe ich nicht ganz… ähm ja, über Transformen mache ich auch keine… mein ganzer Freundeskreis ist sehr trans, sehr queer…”
Und wieder wird der queere Freundeskreis als Absolution vor sich hergetragen. Wir hören das nicht zum ersten Mal. Als würde das, was gesagt oder getan wurde, dadurch weniger verletzend.
“Wir machen schon übereinander Jokes, aber dann ist das eher sowas wie ‚wir existieren ja nicht‘ oder ‚in Amerika dürften wir gerade nicht sein‘…”
Ich schüttele leicht den Kopf. Das mag im engeren Kreis funktionieren – aber das Problem war nie der interne Humor. Es ging um öffentliche Inhalte, um Videos, um Aussagen mit Wirkung. Und dafür übernimmt dey keine klare Verantwortung.
“Wenn sich Menschen davon angegriffen oder invalidiert gefühlt haben, dann tut mir das natürlich leid.”
Natürlich. Wenn. Immer dieses “Wenn”. Kein klares “Ich habe verletzt”. Kein echtes “Ich sehe, was ich getan habe”. Nur ein hypothetisches Bedauern.
Was bleibt, ist das Gefühl, dass wir erneut vertröstet werden sollen. Mit netten Worten, mit Namen, mit Nebel. Aber keine Klarheit, keine Verantwortung. Kein echtes Aufräumen. Nur eine rhetorische Nebelkerze nach der anderen.
Messias
“Ähm ich habe mich gegen das Idealisieren von Menschen selber mehrfach ausgesprochen...”
Kaum setzt dey an, rolle ich innerlich schon die Augen. Das klingt wie ein Versuch, Verantwortung gleich im ersten Satz abzustreifen. Nicht als Reflexion, sondern als Schutzschild.
“…und muss sagen, dass ich glaube, dass genau das ja aber eher durch solche Beiträge befeuert wird.”
Aha. Unsere Kritik befeuert also das Problem. Nicht das Verhalten, nicht die Inhalte, nicht das Schweigen, nicht die Verantwortungslosigkeit. Sondern: Wir. Wir, die Kritik formulieren, sind angeblich Teil des Problems.
“Ich habe selber schon oftmals gesagt, dass es totaler Quatsch ist, Menschen zu idealisieren…”
Mag sein. Aber das ist nicht der Punkt. Niemand hat Yu als Idol angepriesen. Menschen haben sich auf dem verlassen, dem geglaubt, dem vertraut – und wurden verletzt, belogen, vielleicht sogar manipuliert. Die Kritik richtet sich nicht gegen Idealisierung, sondern gegen das Verhalten. Dass dey jetzt davon ablenken will, ist fast schon durchschaubar.
“…warum jetzt zum Beispiel ich dafür angegriffen werde, was irgendwelche anderen Menschen machen – meine Moderator*innen – dazu sage ich gleich noch was.”
Alex murmelt trocken: “Bin gespannt.” Ich merke, wie sich mein Magen zusammenzieht. Diese Strategie – das Problem von sich wegschieben – wirkt immer billiger und immer verletzender. Als wären all die Stimmen, die sich gemeldet haben, bloß ein Missverständnis. Als wären die Erlebnisse anderer bloß lästiger Ballast.
“Ich glaube, dass wohl jede Person… auch mal Sachen falsch gemacht hat.”
Klar. Wer nicht? Aber das ist wieder nicht der Punkt. Es geht nicht nur um Fehler. Es geht um Strukturen. Es geht um Macht, Verantwortung und Kommunikation. Dey redet von Irrtümern, während andere über systematische Ausschlüsse sprechen. Wir hören nicht, dass dey zuhört. Nur, dass dey sich verteidigt.
“Bevor ich so stark linkspolitisch war, hatte ich eine FDP-Phase… nicht wirklich dolle, aber mein bester Freund war ein FDP-Atze…”
Wir schauen uns an. Das soll was sein? Ein Outing? Ein Scherz? Eine Entschuldigung? Nichts davon fühlt sich echt an. Es wirkt wie ein “Ich war halt jung und dumm”-Moment, der unangenehm von Verantwortung ablenken soll. Und ehrlich gesagt: Eine frühere FDP-Nähe erklärt nicht, warum dey später queere Kritik ignoriert oder rassistische Inhalte unkommentiert lässt.
“Ich find’s ein bisschen unsinnig, das komplett hochzuholen… aber es ist total euer Ding, wenn ihr das machen möchtet.”
Erneut dieser Versuch, die Kritik zu entwerten. Passiv-aggressiv. Scheinbar tolerant, aber im Subtext abwertend. Als wären wir hysterisch, kleinlich, überempfindlich. Dey spricht von Respekt, aber zeigt selbst gegen über anderen keinen.
“Ich antworte auch nur drauf, ehrlich gesagt, weil ich grad im Hotelzimmer bin, mir ist langweilig…”
Das ist wie in Schlag ins Gesicht. Das also ist der Wert, den Yu unserer Recherche beimisst? Unseren Gefühlen? Den Stimmen von Betroffenen? Langweile? Wir sind sprachlos. Nur kurz. Dann wütend.
“Das Ding liest sich für mich wie Missverständnis, nicht wie Hass.”
Ach, wie bequem. Alles ein Missverständnis. Kein Problem. Kein Schmerz. Kein Ausschluss. Nur ein paar kleine Fehler – die man jetzt eben “richtigstellen” muss.
Aber für uns fühlt es sich anders an. Nicht wie ein Missverständnis. Sondern wie ein doppelter Verrat: an denen, die Yu vertraut haben. Und an der politischen Praxis, für die dey angeblich steht.
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Vom Autor zum Mörder
“Ja, also mehr kann ich da nicht sagen. Ich bin auch gegen das Idealisieren von Personen…”
Ein Satz, der sich wie ein Mantra wiederholt. Dey will sich distanzieren von einer Rolle, die dey längst ausfüllt. Als wäre das alles ein großes Missverständnis. Als hätte niemand je gesagt: “Yu, du bist mein Vorbild.” Als wären wir alle einfach zu dumm gewesen, um dey richtig zu verstehen.
“Diese Screenshots wurden von meinem Channel nicht gezeigt…”
Wir sollen glauben, die Kritik sei unfair, aus dem Kontext gerissen. Doch was fehlt, sind nicht ein paar Screenshots – es fehlt Selbstkritik. Es fehlt der Wille, Verantwortung zu übernehmen.
“Ich habe mich regelmäßig dagegen ausgesprochen…”
Und doch werden Menschen von dey beeinflusst. Und doch bleibt eine Aura von Unantastbarkeit. Wir haben nie gesehen, dass dey mit uns auf Augenhöhe über Macht und Verantwortung gesprochen hätte. Im Gegenteil: Kritik wird weggeschoben, verwässert, zerredet. Und sobald sie zu viel wird, kommt das, was uns alle emotional eiskalt erwischt hat.
„Triggerwarnung… Ich bin suizidal. Ich schreibe solche Nachrichten, weil ich mich selbst oft wertlos fühle…“
Und plötzlich ändert sich der Ton. Plötzlich geht es nicht mehr um uns, um die Kritik, um die Community. Plötzlich geht es nur noch um dem. Um deren Schmerz. Um deren Kindheit. Um deren Trauma.
Wir haben uns das angehört. Wir haben geschluckt. Wir haben innegehalten. Und wir haben gemerkt, was hier passiert:
Yu wälzt deren Leid auf uns ab. Als wolle dey uns damit sagen: “Wenn ihr mich kritisiert, macht ihr alles schlimmer.” Als wäre unsere Wut, unsere Forderung nach Klarheit, der Tropfen, der dem zum Überlaufen bringt. Als müssten wir uns jetzt verantwortlich fühlen – für deren Leben. Und das ist nicht okay.
Wir haben Mitgefühl. Aber wir sind nicht bereit, uns emotional erpressen zu lassen. Denn das war es, was sich in diesem Moment für uns so anfühlte: wie emotionale Erpressung. Nicht absichtlich vielleicht, nicht geplant – aber in der Wirkung fatal.
Gerade weil viele von uns selbst mit Suizidgedanken gekämpft haben, gerade weil wir wissen, wie sich Wertlosigkeit anfühlt, spüren wir die Grenzen. Und diese Grenze wurde überschritten, als aus Verantwortung plötzlich Mitleid eingefordert wurde.
“Ich sehe da keine Problematik…”
Wir sehen eine. Und zwar eine verdammt große. Nicht, weil wir kein Herz haben – sondern weil wir uns selbst schützen müssen. Weil wir wissen, dass Verantwortung nicht bedeutet, sich selbst zu idealisieren, sondern die Macht, die man hat, kritisch zu reflektieren.
“Ich gehe weiter ein…”
Bitte. Aber tu es nicht so, als ginge es hier nur um dich. Denn wir sind auch noch da. Und wir schulden dir keine Absolution.
Auf die Fresse
Yu erklärt, dass dey Polizeigewalt aufzeichnet, damit sie öffentlich sichtbar wird:
“Ich nehme das auf, weil ich will, dass es auf Social Media gezeigt wird.”
Daran ist erstmal nichts verwerflich – im Gegenteil, Polizeigewalt sichtbar zu machen ist wichtig. Was uns jedoch irritiert, ist die Inszenierung, die in Yus Schilderung mitschwingt. Dey erzählt, dass dey der Polizei gesagt habe:
“Filmt ruhig, wenn ich geschlagen werde” – und dass dey das sogar mit einem Lächeln gesagt habe, um mit der Situation klarzukommen.
Das wirkt auf uns nicht einfach wie ein Versuch, mit Angst umzugehen. Es wirkt wie eine Form von Selbstdarstellung, bei der wir – das Publikum – mitgemeint sind. Yu sagt sogar:
“Plot Twist: Ich mag es nicht, von Polizistinnen verprügelt zu werden.”
Diese Ironie soll vermutlich Distanz schaffen – doch was bei uns ankommt, ist ein Unbehagen: Warum sagt dey das überhaupt? Warum inszeniert dey diese Gewalt, um sie zu veröffentlichen – und warum sollen wir das sehen?
Wir hatten an vielen Stellen das Gefühl, dass Yu deren Schmerz nicht nur teilt, sondern ihn auf uns überträgt. Dass dey möchte, dass wir nicht nur zuschauen, sondern mitempfinden, mittragen – und uns schlecht fühlen, wenn wir nicht sofort und richtig reagieren.
Als Yu sagt: “Wenn das für Menschen, die mich persönlich kennen, unangenehm war, tut mir das leid. Aber ich finde es schade, dass sie sich nicht direkt an mich gewendet haben.” – da spüren wir deutlich, wie uns Verantwortung zugeschoben wird. Kritik, die öffentlich geäußert wird, wird hier als persönlicher Verrat umgedeutet.
Noch deutlicher wird das, wenn Yu uns unterstellt, ableistisch zu sein, weil wir nicht im direkten Kontakt Rückmeldung gegeben haben:
“Ich habe oft gesagt: Bitte sagt mir, wenn ich Grenzen überschreite – mit Worten oder Verhalten. Wenn ihr das nicht tut, obwohl ich euch darum bitte, dann ist das ableistisch.”
Natürlich ist es wichtig, auf die Bedürfnisse neurodivergenter Menschen zu achten. Aber die Verantwortung für grenzüberschreitendes Verhalten kann nicht einfach auf andere übertragen werden – schon gar nicht, wenn die Grenzüberschreitungen öffentlich stattfinden.
Es wirkt auf uns, als würde Yu berechtigte Kritik abwehren, indem dey sie als Diskriminierung umdeutet. Als dürfte Kritik nur geäußert werden, wenn sie exakt dem Rahmen entspricht, den Yu vorgibt.
Gleichzeitig sagt dey aber auch:
“Ich weiß nicht genau, was ich falsch gemacht habe – das müsstet ihr mir sagen, damit ich es reflektieren kann.”
Dieses gleichzeitige Bestehen auf Reflexionsbereitschaft und die Weigerung, öffentliche Kritik zu akzeptieren, fühlt sich für uns widersprüchlich und manipulativ an.
Wir hatten das Gefühl, dass Yu deren Schmerz auf uns abwälzt, uns dafür verantwortlich macht, wenn dey sich schlecht fühlt, und jede Form von Kritik als persönlichen Angriff umdeutet. Das war nicht nur emotional belastend – es war überfordernd.
Sklaventreiberei
Yu betont mehrmals, dass dey keine Mitarbeitenden habe – oder gehabt habe. Dey erwähnt:
“Ich habe keine Mitarbeitenden. Johannes schneidet meine Videos, das ist meine Cuter - naja ich hatte mal Kevin… Aber das war erst dieses Jahr möglich, weil ich vorher keine finanziellen Kapazitäten hatte.”
Wir möchten hier klarstellen: Es ist für uns kein Problem, wenn Yu mit anderen Personen zusammenarbeitet oder Menschen bezahlt. Das wäre auch kein Skandal. Problematisch wird es jedoch, wenn Kritik an Arbeitsverhältnissen oder Verhalten gegenüber anderen Personen als “Gebluffe“ dargestellt wird – so sagt Yu:
“In diesem Kontext wurde auch viel geblufft. Natürlich gibt es bei Drama Leute, die was in den Topf werfen.”
Hier wird die Existenz von Kritik grundsätzlich infrage gestellt – als etwas, das nicht ernst gemeint oder übertrieben sei. Gleichzeitig wirft Yu uns vor, wir hätten womöglich nicht gut genug recherchiert oder unsere Quellen überprüft.
Diese ständige Ambivalenz zieht sich durch Yus gesamtes Statement: Einerseits betont dey, keine Verantwortung abgeben zu wollen – andererseits wird Verantwortung verschoben. Dey sagt:
“Ich bin autistisch. Das bedeutet nicht, dass ich Fehler machen darf oder aus der Verantwortung raus bin. Aber wenn ich Dinge tue, die ich selbst nicht verstehe, dann muss man mir das erklären.”
Natürlich ist es richtig, dass neurodivergente Menschen andere Zugänge zu Kommunikation brauchen. Aber wenn Yu sagt, dass Kritik nur dann berechtigt sei, wenn sie exakt in dem Ton und in der Struktur kommt, die dey verstehen kann, dann führt das dazu, dass fast jede Form von Kritik abgewehrt wird – nicht auf Inhalt, sondern auf Form bezogen.
Uns hat sehr belastet, dass wir das Gefühl hatten, dass Yu unsere Reaktionen pathologisiert. Dey beschreibt autistisches Erleben so:
“Autistinnen erleben die Welt als einen Ort, an dem andere Menschen durchgehend enttäuscht von einem sind. Das ist wissenschaftlich erwiesen.”
Diese Aussage soll vermutlich Mitgefühl erzeugen – was nachvollziehbar ist. Aber sie verschiebt gleichzeitig die Perspektive: Wenn Menschen wie wir enttäuscht oder verletzt sind, dann liegt das nicht daran, dass etwas tatsächlich vorgefallen ist – sondern daran, dass wir angeblich keine Rücksicht auf Yus Neurodivergenz nehmen würden.
So sagt Yu: “Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht haben soll. Ich kann es mir nicht herleiten. Das ist nicht gelogen – ich weiß es wirklich nicht. Und wenn ich was getan habe, muss ich das wissen, damit ich mich damit auseinandersetzen kann.”
Dieser Wunsch nach Rückmeldung ist legitim – aber auch hier wurde die Verantwortung in unsere Hände gelegt. Als müssten wir Yus Verhalten für dey auswerten, damit dey sich reflektieren kann. Und wenn wir das nicht im richtigen Ton tun, oder nicht direkt an Yu herantreten, dann ist es laut dey: “ableistisch.”
Wir hatten oft das Gefühl, dass diese Art der Kommunikation uns emotional unter Druck setzt. Dass wir uns schuldig fühlen sollen – für Kritik, für Abgrenzung, vielleicht sogar für Yus psychische Belastung.
Das war für viele von uns kaum auszuhalten. Und es hat dazu geführt, dass wir nicht mehr über das sprechen konnten, was tatsächlich passiert ist – weil sofort in Frage stand, ob wir überhaupt “das Recht” dazu haben.
Sündenbock
“Der Discord wird nicht mehr von mir moderiert“, beginnt Yu. Die Stimme ist ruhig, kontrolliert. Fast so, als würde dey ein offizielles Statement abgeben. Dey spricht über Strukturen, über Verantwortung, über Kritikfähigkeit – und über einen Server, der dem nicht mehr gehört. Angeblich.
“Der Discord war früher meiner, aber ich habe ihn letztes Jahr aus meiner Kontrolle gegeben – an eine FLINTA*-Crew. Mir war wichtig, dass dort ein Raum für Kritik entsteht. Ich selbst bin kaum noch da, habe nichts mehr mit dem Server zu tun, leite ihn nicht, moderiere ihn nicht.”
Wirklich? Wir wissen, dass auf diesem Server nach wie vor Dinge passieren, die direkt mit Yu in Verbindung stehen – diffamierende Kommentare, Ausschlüsse, selektive Löschungen. Alles unter dem Banner eines sicheren Raums, aber ohne Verantwortung. Und jetzt heißt es: Ich bin da raus. Kümmert euch selbst.
“Ich habe wahrscheinlich noch irgendwelche Rechte auf dem Discord, aber ich bin nicht die Serverleitung”, sagt Yu. Die Formulierungen schwanken zwischen Entlastung und Halbwissen. Wahrscheinlich? Irgendwelche Rechte? Keine Leitung, aber der eigene Name prangt weiterhin sichtbar über dem Server.
Das ist kein klarer Schnitt. Das ist ein taktischer Rückzug – ohne die eigene Reichweite zu verlieren. Dey will neutral wirken, aber behält strukturellen Einfluss. Und das Narrativ bleibt: Ich habe es nur gut gemeint.
“Der Discord war mal ein Safe Space. Ich wollte Menschen helfen, sie vernetzen. Natürlich passieren dort auch abgefuckte Dinge – aber ich bin nicht als Einzelperson verantwortlich dafür. Vor allem nicht, wenn ich den Server nicht mehr leite.”
Wir merken, wie die Schuld wieder abgeschoben wird. Auf die Struktur. Auf die Community. Auf die diffuse Gruppe “andere“. Yu präsentiert sich als jemand, der Verantwortung vorbildlich delegiert hat – aber jede Kritik daran wird gleichzeitig als unsauberer Journalismus zurückgewiesen.
“Wenn ihr journalistisch arbeitet, dann solltet ihr besser Quellen checken – und vor allem, bevor ihr etwas hochladet.”
Es ist ein Vorwurf, der ins Leere zielt. Denn genau das haben wir getan. Und genau deshalb stehen wir heute hier – mit Informationen, mit Erfahrungen, mit Zitaten, die ein Muster zeigen: Entschuldigung, Entzug, Entgleisung.
“Ich habe mich rausgezogen, weil ich möchte, dass Kritik stattfinden kann”, sagt Yu am Ende. Aber was dey wirklich meint: Ich möchte nicht selbst kritisiert werden. Und wenn doch, dann bitte nur von Menschen, die mir freundlich gesinnt sind. Die mir glauben. Die mir nichts unterstellen.
Doch genau das tun wir nicht. Wir glauben nicht an diese Version. Wir glauben nicht an diese selektive Verantwortung, die sich nur dann zeigt, wenn sie gut aussieht. Und wir glauben nicht, dass ein Rückzug aus der Moderation gleichbedeutend ist mit einem Rückzug aus der Verantwortung – erst recht nicht, wenn die Strukturen, der Name und das Narrativ immer noch auf Yu zugeschnitten sind.
Portu… Bangladesch
Yu spricht über den eigenen Merch. Über Transparenz, Fehler und vermeintliche Aufarbeitung. Und wieder steht da ein altbekanntes Muster im Raum: Ich wollte doch alles richtig machen.
“Ich habe öffentlich darauf reagiert”, sagt Yu, als es um Vorwürfe geht, dass der Merch aus Bangladesch stammt. “Ich habe ein öffentliches Discord-Podium gemacht und TikTok-Streams – aber halt nichts, was auf meinen Socials dauerhaft bleibt.” Es war “geplant”, dass keine dauerhafte Klarstellung erfolgt, so Yu. Weil: “Ich wollte meinen Manager anrufen und erstmal herausfinden, warum die Sachen aus Bangladesch sind.”
Diese Prioritäten sprechen Bände. Nicht die Community, nicht die Menschen, die kritisch nachfragen, sondern die Frage, wie man mit einem Manager nachträglich ein PR-taugliches Narrativ strickt, steht im Vordergrund.
“Ich habe E-Mails gezeigt, die belegen, dass ich in Portugal produzieren wollte“, erklärt Yu. Gleichzeitig räumt dey aber ein: “Die Sachen kamen aus China und Bangladesch.“ Warum? Ein Fehler des Merch-Herstellers. Und trotzdem: “Die Produktion war fair – es gibt Zertifikate, die das beweisen. Die waren im Chat.”
Der springende Punkt: Wir sollen Yu einfach glauben. Obwohl dey die Verantwortung für die Produktionskette abgibt, obwohl dey sich auf E-Mails und Zertifikate beruft, die niemand unabhängig verifizieren kann, obwohl dey öffentlich nie klar benannt hat, was eigentlich schiefgelaufen ist.
Stattdessen heißt es: “Ich sehe keinen Grund mehr, ein öffentliches Statement dazu zu machen. Die Menschen wurden fair bezahlt – also warum sollte ich noch etwas sagen?“
Diese Haltung ist entlarvend. Es geht nicht um Aufarbeitung, nicht um Verantwortung, nicht um die Transparenz, die Yu für sich beansprucht. Es geht um Schadensbegrenzung. Und darum, zu bestimmen, wann ein Thema “nicht mehr relevant“ ist – ungeachtet der Perspektive derer, die Fragen gestellt haben.
Dabei bleibt vieles unklar: Warum wurde nicht sofort transparent kommuniziert? Warum dauerte es Monate, bis ein Fehler eingeräumt wurde – wenn überhaupt? Warum finden sich keine Belege auf offiziellen Kanälen, sondern nur in einem Discord-Chat mit einer Einzelperson?
Und dann folgt der Versuch, sich als lernende, kämpfende Figur zu positionieren. „Ich habe mich von meinem Produzenten getrennt. Ich bezahle jetzt mehr. Ich bin neu in der Musikindustrie und kenne mich halt noch nicht so aus.“
Yu möchte aus dem Fehler Kapital schlagen – sich als jemand darstellen, der über sich hinauswächst, weil Kritik geübt wurde. Doch wer strukturelle Verantwortung ernst meint, braucht keine Entlastungsrhetorik à la „Ich musste mich ja erstmal einlesen.“ Wer wirklich transparent handeln will, veröffentlicht Informationen nicht in geschlossenen Discords, sondern auf Kanälen mit Reichweite. Und wer faire Produktion propagiert, tut das nicht nur dann, wenn der Druck groß genug wird.
Am Ende bleibt: Yu hat Verantwortung abgegeben, Fehler relativiert, Kommunikationswege unklar gehalten – und fordert nun Nachsicht ein. Weil es „nicht so einfach“ sei. Aber genau darin liegt das Problem. Wenn es nicht einfach ist, dann muss es umso klarer, transparenter und nachvollziehbarer werden. Alles andere ist keine Aufarbeitung, sondern PR.
Unantastbar
In diesem letzten Abschnitt der Verteidigungsrede versucht Yu, sich gegen einen weiteren zentralen Kritikpunkt zu verteidigen: dey hätten Ashs Kritik ignoriert und stattdessen lediglich dessen Äußeres kommentiert. Der Vorwurf sei, Yu habe Ash sexualisiert statt sich inhaltlich auseinanderzusetzen. Yu reagiert darauf – wie schon zuvor – mit einer Mischung aus Dementi, Relativierung und persönlicher Emotionalisierung:
“Das ist nicht nur ein bisschen falsch, sondern komplett falsch“, erklärt Yu. Dey habe “wirklich viele Videos“ zur Thematik gemacht und sich mehrmals sowohl öffentlich als auch privat mit Ash ausgetauscht. Dey beschreibt einen Kommunikationsverlauf mit Ash, der von Missverständnissen, Entschuldigungen, neuen Konflikten und falsch dargestellten Audios geprägt sei.
Dabei wird schnell deutlich: Die Kritik an der sexualisierenden Bemerkung wird zwar anerkannt – aber vor allem heruntergespielt. Yu schildert die Szene als Nebensatz in einem langen Stream, als spontanen Ausruf, als etwas, das dey bereue und dem dey sich stellen wolle. Doch wieder liegt der Fokus auf dem vermeintlich “falschen Bild“, das andere zeichnen, nicht auf der Wirkung der eigenen Worte. Yu sagt:
“Ich hätte mir den Kommentar trotzdem sparen können, das verstehe ich, und es tut mir auch leid.“
Ein Schuldeingeständnis klingt anders. Wieder geht es nicht um die betroffene Person oder deren Perspektive, sondern darum, wie Yu sich dabei fühlt – und wie viel dey angeblich schon getan hat, um sich zu erklären.
Anschließend folgen erneut persönliche Offenbarungen, die auf emotionaler Ebene Legitimität schaffen sollen: Autismus, Suizidalität, therapeutische Rücksprachen. Yu hebt hervor:
“Wenn ich sage, dass ich autistisch bin, dann sage ich das nicht, um relevante Kritik abzuwenden […], sondern weil ich mir wünsche, dass ich reflektieren kann.“
Doch genau das passiert nicht. Die Reflexion bleibt ein Lippenbekenntnis, das in der Praxis durch einen Satz wie „Ich habe das Beste getan, ich habe Statements gemacht“ ad absurdum geführt wird. Yu inszeniert deyself als erschöpfte, überforderte Person, die alles gegeben hat, aber mit „Hass“ konfrontiert wird. Dass Kritik an strukturellem Verhalten auch dann legitim bleibt, wenn sie deutlich, ja vielleicht sogar harsch formuliert wird – diese Einsicht fehlt.
Stattdessen folgt die Gleichsetzung von Kritik mit Gewalt:
“Habe lange mit starkem Selbsthass gekämpft. Wenn mir dann Expert*innen sagen, dass dieses Gefühl sehr wahrscheinlich das Resultat von Hass und Hetze ist, dann nehme ich das ernst – so sehr, dass ich es mir notfalls tätowieren lassen würde.“
Die tatsächliche Kritik an Yu – etwa zum Umgang mit Betroffenen, zur Ignoranz gegenüber transfeindlichen Dynamiken oder zu patriarchalem Verhalten – wird dabei zur Nebensache. Wer aufzeigt, dass Yu problematische Muster reproduziert, wird verdächtigt, “Hass und Hetze“ zu verbreiten. Die Deutungshoheit verschiebt sich erneut auf die Täter*innenebene.
Schließlich endet das Statement mit einer weiteren Umkehr der Verantwortung:
“90 Prozent unserer Missverständnisse hättet ihr durch vernünftigen Journalismus verhindern können.“
Damit wird nicht nur eigene Verantwortung abgeschoben, sondern auch ein klassisches Motiv bemüht: Das Problem ist nicht das Verhalten – sondern dass es sichtbar wird.
Yu betont zum Schluss, dey sei “erreichbar gewesen“ und wünsche sich einen “kritischen, aber fairen“ Umgang. Doch wer Kritik nur akzeptiert, wenn sie weich, unpolitisch und vollständig entemotionalisiert daherkommt – der*die entzieht sich letztlich jeder echten Auseinandersetzung.
Die Antwort
Nach Yus ausführlicher Sprachnachrichtem, die mit einem versöhnlich gemeinten “Ich hoffe, ich bin ausführlich auf alles eingegangen :)“ endete, erhielten wir erneut eine direkte Nachricht. Dieses Mal nicht als Sprachnachricht, sondern als Text – adressiert, wie alle anderen Nachrichten auch, an das 3540-Kollektiv.
Was Yu dabei offenbar übersah: Das Kollektiv ist kein redaktionelles Organ. “Wir koordinieren Infrastruktur, ermöglichen Projektarbeit, vernetzen, unterstützen – greifen aber nicht in Inhalte ein.” Entsprechend klar fiel deren Antwort aus:
“Hallo Yu, du bist mit deiner Nachricht beim falschen Ansprechpartner gelandet. Das 3540-Kollektiv ist der organisatorische Dachverband für eine Vielzahl linker Projekte und Arbeitsgruppen. […] Deine Nachrichten haben wir dennoch an die zuständige Redaktion von 3540-Media weitergeleitet.”
Die Reaktion unserer Redaktion? Sachlich, unmissverständlich – und mit Haltung:
“Deine Aussagen über unsere journalistische Arbeit zeugen von einem grundlegenden Missverständnis von investigativem Journalismus.”
Yu hatte den Vorwurf erhoben, unsere Recherchen seien unprofessionell gewesen, basierten auf Missverständnissen oder „Hass“. Doch solche Behauptungen stehen im Widerspruch zu unserer Arbeitspraxis: Wir prüfen Quellen gründlich, sichern uns rechtlich ab und orientieren uns an einem verschärften Pressekodex, der antifaschistische und diskriminierungskritische Standards einschließt.
Klar ist auch: Unsere Arbeit hängt nicht von der Zustimmung derer ab, die wir kritisieren.
Wir schrieben Yu:
“Wenn du etwas richtigstellen willst oder glaubst, inhaltlich etwas beizutragen, hast du jederzeit die Möglichkeit, dich bei uns zu melden. […] Aber eines ist ebenso klar: Unsere Arbeit machen wir nicht von deiner Zustimmung abhängig.”
Kritik ist willkommen – Unterstellungen nicht. Was uns leitet, sind klare Prinzipien und die Verantwortung gegenüber unserer Community, nicht gegenüber einzelnen Influencer*innen, die ihre Reichweite nutzen, um Druck auszuüben.
Das ist kein Angriff. Es ist eine rote Linie. Und sie gilt für alle.
Unprofessionell
In der fortlaufenden Auseinandersetzung meldet sich Yu erneut zu Wort und legt mit Nachdruck dar, wie sie unsere Berichterstattung wahrnimmt. Dabei bringt dey konkrete Kritikpunkte vor, die wir hier mit direkten Zitaten aus ihrer Sprachnachricht beleuchten und einordnen wollen.
Yu beginnt mit der zentralen Kritik an unserer vermeintlichen Weigerung, Fehler einzuräumen:
“Ich habe Redaktions Fehler eingeräumt, die rein Faktische Fehler sind, weil niemand außer mir von meiner Geschlechtsidentität reden kann.“
Hier wird deutlich, dass Yu von uns erwartet, bestimmte Aussagen über ihre Identität als falsch zu erkennen und öffentlich zu korrigieren. Dey ergänzt:
“Ich wollte da wegen Transfeindlichkeit raus, mal ob so, diese Sachen wurden von transfeindlichen Menschen hochgeladen, um gegen mich da Hass und Hetze zu schüren.“
Dieser Hinweis ist wichtig, da er verdeutlicht, dass Yu eine belastende Vorgeschichte mit Transfeindlichkeit sieht, die in der Berichterstattung – so dey – bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
Yu fordert:
“Ich würde mich freuen, wenn da Aufarbeitung stattfindet und genauso möchte ich mir noch einmal klar ausdrucken.“
Sie zeigt damit Offenheit für eine gemeinsame Klärung – eine Möglichkeit, die wir ausdrücklich begrüßen.
Darüber hinaus betont dey mehrfach ihre Bereitschaft, sich selbstkritisch mit möglichen Fehlern auseinanderzusetzen:
“Ich bin sehr bereit, selber auch Sachen aufzuarbeiten, wenn da irgendwelche Punkte sind und das auch auf jeden Fall öffentlich zu machen.“
Gleichzeitig kritisiert Yu jedoch:
“Wenn da was dabei ist, dann muss ich die Möglichkeit dafür bekommen und dann muss aber auch ein möglich sein, dass auch sich eine vermeintlich journalistische Redaktion Fehler einräumt.”
Hier fordert dey, dass die journalistische Arbeit nicht nur auf Vorwürfe reagiert, sondern proaktiv Fehler eingesteht – eine Grundvoraussetzung für konstruktiven Dialog.
Zur Frage des Namens „Triple D“ und der vermeintlichen Deutung sagt Yu:
‘‘Allein Triple D – zu wissen, wofür mein Name steht. Da könnte ich jetzt noch bluffen, wo ich nicht bluffe.”
Yu weist darauf hin, dass der Begriff nicht selbst gewählt war, sondern ein Stigma, das ihr von außen auferlegt wurde. Dey macht zudem klar:
“Die Sachen wurden von transfeindlichen Menschen hochgeladen, um gegen mich da Hass und Hetze zu schüren.”
Dies zeigt, wie komplex die Verstrickungen zwischen öffentlicher Darstellung und persönlichen Erfahrungen sind.
Was die historische Einordnung ihrer Identität betrifft, widerspricht Yu kategorisch:
“Ich war nicht männlich, ich war es auch noch nie. Auch damals hatte ich von dem Interesse, meinen Schwanz abzuschneiden.“
Diese Aussage stellt eine klare Absage an etwaige frühere Zuschreibungen dar, die wir, so Yu, fälschlich getroffen hätten.
Abschließend appelliert Yu an die Wichtigkeit von Anerkennung und Validierung ihrer Identität:
“Es fühlt sich für mich so an, als ob meine Geschlechtsidentität hier nicht als valide wahrgenommen wird.”
Gleichzeitig würdigt dey auch positive Aspekte unserer Berichterstattung:
“Ich finde’s stark und danke schön, dass ihr da die ganze Zeit auf neutrale Formulierung geachtet habt und nicht auch nur meinen Namen genutzt habt, sondern aktiv neutrale Pronomen genutzt habt.“
Ein Ende?
Die Auseinandersetzung um Yu hat uns an eine Grenze geführt: zwischen journalistischer Verantwortung und einer Öffentlichkeit, die nicht immer bereit ist, zwischen Kritik und Angriff zu unterscheiden. Es ging nie um eine private Abrechnung, sondern um die Einordnung eines öffentlichen Auftretens, das politische Wirkung hatte – über Jahre. Dass darauf nun mit persönlichen Vorwürfen, emotionaler Erpressung und einer Täter-Opfer-Umkehr reagiert wird, ist schwer auszuhalten.
Yu fordert Aufarbeitung – aber nur zu den eigenen Bedingungen. Dey beansprucht Deutungshoheit über Vergangenheit, Identität und politische Wirkung, ohne Raum für kritische Analyse zu lassen. Gleichzeitig wird jede journalistische Einordnung, die nicht affirmativ oder apologetisch ist, als “unprofessionell“, “transfeindlich“ oder “falsch“ diskreditiert – ohne sich ernsthaft mit den Argumenten auseinanderzusetzen. Stattdessen wird Emotionalität als Schutzschild vor Kritik verwendet.
Wir erkennen an, dass öffentliche Auseinandersetzungen schmerzhaft sind. Wir erkennen an, dass trans Personen überdurchschnittlich oft Ziel von Hass und Hetze sind – und dass das Auswirkungen hat. Aber wir wehren uns dagegen, dass dieser Umstand benutzt wird, um jede kritische Betrachtung unmöglich zu machen.
Die Behauptung, nur eine betroffene Person selbst könne “faktisch“ bewerten, was über sie gesagt wird, widerspricht jeder Form von Öffentlichkeit. Wer jahrelang als politische Figur auftritt, Inhalte verbreitet, Communities prägt und beeinflusst, kann sich nicht plötzlich ganz aus Verantwortung zurückziehen, sobald Kritik aufkommt. Das wäre kein Schutz, sondern ein Machtinstrument.
Wir haben keine Hetze betrieben. Wir haben analysiert, kontextualisiert, benannt. Wenn dabei Formulierungen zu scharf oder verkürzt waren, sind wir bereit, das zu prüfen. Was wir aber nicht akzeptieren, ist ein Diskurs, in dem Kritik nur dann als legitim gilt, wenn sie von Freund*innen, aus dem “richtigen“ Milieu oder mit dem gewünschten Zungenschlag kommt.
Yu hatte die Chance zum offenen Gespräch – und hat sich dafür entschieden, die Deutungshoheit mit maximaler Empörung zurückzufordern. Auch das ist ein Statement. Aber keines, das uns einschüchtert.
Für uns ist klar: Wir stehen weiterhin für eine linke Öffentlichkeit, die solidarisch, kritisch und streitbar ist – und sich weder von Rechten noch von narzisstischer Abwehrbereitschaft lähmen lässt. Kein Schlussstrich – aber ein Schnittpunkt.
Wir machen weiter. Und wir lassen uns nicht den Mund verbieten.
Ich finde es sehr interessant und ein wichtiges Thema. Vielleicht für euch als Rückmeldung: ich fand die Argumentation des ersten Artikels tlw. etwas kurz. Es wurden Behauptungen aufgestellt (die ihr nach eurer Aussage auch geprüft habt), aber es fehlten die Argumente? Also für mich hat sich dieser erste Text sehr flach angefühlt. Wie wenn in Deutschunterricht statt These, Argument, Beleg nur die These genannt wird. Und dann ist es schwieriger auf die Kritik einzugehen?
Während des Lesens dieses Artikels habe ich mich selbst immer reflektiert und überlegt, was ich an Yus Stelle machen würde und da ist mir irgendwann aufgefallen, dass ich allein durch euren ersten Artikel, nicht bei allen Punkten verstanden hätte, was genau falsch/problematisch ist.
Spannendes Thema und danke für eure Arbeit!
DIe Redaktion schreibt: „Yu hatte die Chance zum offenen Gespräch – und hat sich entschieden, die Deutungshoheit mit maximaler Empörung zurückzufordern.“ Doch Yu hat sich nicht empört, dey hat geantwortet, erklärt, reflektiert, sich entschuldigt. Diese Reaktion als Empörung zu lesen, ist eine emotionale Projektion.
„Wir stehen für eine linke Öffentlichkeit, die solidarisch, kritisch und streitbar ist“, sagt die Redaktion. Doch Solidarität, die nur gilt, solange Menschen keine Fehler machen, ist keine. Kritik, die Entwicklung nicht zulässt, ist keine. Und Streitbarkeit ohne Empathie ist keine Stärke - sondern Härte.
Yu hat Fehler gemacht. Yu hat sich erklärt. Yu hat sich entschuldigt. Yu zeigt Beweise für Aufarbeitung. Wenn das nicht reicht, liegt das Problem nicht bei Yu, sondern bei denen, die alles, was dey sagt, im schlechtesten Licht lesen. Es wird außer Acht gelassen, welche Schäden diese Anschuldigung haben. Zu leugnen, dass Yu auf Kritik eingeht, sagen dey würde Kritik pauschal als Ableismus abtun, etc..
Wer glaubt, dieser Beitrag sei Kritik, sollte sich fragen:
Warum wird keine einzige Aussage von Yu als glaubwürdig angesehen?
Warum wird jede Entschuldigung, jede Erklärung, jede Geste als Manipulation gewertet?
Und warum darf eine marginalisierte Person, die sich öffnet, derart seziert und entmenschlicht werden?